Westliche Militärschläge gegen ISIS-Terror?
Die dschihadistische Sunniten-Gruppierung „Islamischer Staat im Irak und (Groß-) Syrien“ (ISIS) hat sich mit brutalen Mitteln im Nordirak festgesetzt. Sie beherrscht mehrere irakische Städte und hat damit begonnen, quasi-staatliche Strukturen in dem von ihr eingenommenen Territorium aufzubauen. Die USA, die den Irak 2011 nach langjähriger massiver militärischer Truppenpräsenz verlassen haben, sind aufs höchste alarmiert. Die nach dem Sturz Saddam Husseins von den USA mitinstallierte, äußerst fragile Ordnung im Irak, droht vollends zu zerbersten. Die irakischen Schiiten – die die Regierung stellen – und die Sunniten – die systematisch vom Staatsapparat ferngehalten werden und nun zumindest teilweise mit den ISIS-Kämpfern sympathisieren – stehen sich immer feindseliger gegenüber. Die ganze Region könnte erneut in Gewalt versinken.
Die diplomatischen Versuche der US-Regierung, den irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki zur Bildung einer nationalen, konfessionenübergreifenden Einheitsregierung zu bewegen, sind am Widerstand al-Malikis gescheitert. Zusätzlich zu den diplomatischen Bemühungen hat US-Präsident Barack Obama auch ein militärisches Vorgehen gegen die ISIS-Truppen ins Gespräch gebracht. Obama sprach von „gezielten“ und „präzisen Militäraktionen“ gegen ISIS und meinte damit insbesondere Luft- oder Drohneneinsätze. Der Einsatz von Bodentruppen sei nicht geplant.
Sind westliche Militärschläge ein geeignetes Mittel um die Situation im Irak zu beruhigen oder verschärfen sie die angespannte Lage nur noch weiter? Steht der Westen – und die USA insbesondere – in der Verantwortung zu handeln? Und wenn ja, wie?
James Snell spricht sich auf Left Foot Forward für ein militärisches Vorgehen gegen die ISIS-Kämpfer aus. Er ist schockiert von den schrecklichen Bildern, die diese von ihren eigenen Gräueltaten verbreiten. Snell kommt zu dem Schluss, dass man Böses in einem solchen Ausmaß nicht einfach ignorieren könne. Man müsse den ISIS-Extremisten Einhalt gebieten und dürfe nicht den selben Fehler wie in Syrien machen, wo man sich im Westen gegen eine militärische Intervention entschieden habe, was auch zur Barbarei der ISIS-Milizen im Irak mit beigetragen habe. Im Angesicht neuer Massaker dürfe man nicht noch einmal wegschauen, so Snells Appell.
Auf Western Journalism findet Allan Erickson deutliche Worte, insbesondere gegenüber US-Präsident Obama. Ein „echter“ amerikanischer Präsident, so Erickson, hätte nie und nimmer al-Maliki all das kaputt machen lassen, was die USA über die Jahre im Irak aufgebaut hätten. Ein „echter“ Präsident hätte überdies längst die ISIS-Terroristen mit massiven Luftschlägen ausgelöscht. Er hätte Stärke und Entschlossenheit gezeigt. Ein stabiler irakischer Staat sei doch eindeutig im Interesse der USA. Man sei es doch den eigenen amerikanischen Truppen und auch denjenigen Irakern gegenüber schuldig einzugreifen, die sich für einen sicheren Irak aufgeopfert hätten. Man müsse nun das moralisch Richtige tun, statt sich feige wegzuducken, wie man das auch schon in der Ukraine gemacht habe. Obama, den Erickson eher für den Leiter einer Hippie-Kommune hält, sei dafür eindeutig der falsche Mann.
Ganz anders Baroness Elaine Murphy: Sie stimmt der Blick auf die Tagesordnung des britischen „House of Lords“, dem sie selbst angehört, äußerst nachdenklich: Eine Diskussion über das gewaltsame Vorrücken der ISIS-Truppen im Irak sei dort nicht vorgesehen. Dabei sei doch, so schreibt Baroness Murphy auf Lords of the Blog, Großbritannien zusammen mit den USA hauptverantwortlich für das heutige Chaos im Irak. Niemals zuvor hätten sich westliche Alliierte als so inkompetent in der Handhabung einer Nachkriegsordnung erwiesen, wie im Irak. Gerade aufgrund dieser Erfahrungen spricht sie sich auch gegen eine militärische Intervention des Westens aus. Diejenigen, deren Kultur dort angegriffen werde, müssten sich selbst gegen die Extremisten zur Wehr setzen. Sie müssten sich zusammenschließen und interne Differenzen überwinden. Ein erneutes militärisches Eingreifen des Westens würde die Situation nur weiter verschlimmern.
Auf dem Blog des Jacobins kann es Greg Shupak gar nicht fassen, wie man zu der Auffassung kommen könne, dass es die Abwesenheit der abgezogenen US-Truppen sei, die die Gewalt im Irak entfacht habe. Gerade die militärische Invasion der USA habe 2003 doch so viel Leid und Tod über die irakische Bevölkerung gebracht. Die Folter sei unter den Amerikanern bekanntermaßen schlimmer gewesen als unter Saddam Hussein. Dass nun ausgerechnet das amerikanische Militär die Situation im Irak befrieden solle, findet Shupak vor diesem Hintergrund absurd. Die USA hätten schon genügend Schaden im Irak angerichtet, einer erneuten militärischen Intervention gelte es daher entschieden entgegenzutreten. Stattdessen solle man lieber solche Vertreter der irakischen Linken unterstützen, die sich gegen die herrschende Klasse aber auch gegen die imperialistischen Interessen des Westens einsetzten.
Ob aus den Konsequenzen der militärischen Intervention der westlichen Allianz im Irak 2003 heute für diese die Verpflichtung erwächst dort erneut einzugreifen oder sich – ganz im Gegenteil – dieses Mal herauszuhalten, darüber kann man ganz unterschiedlicher Meinung sein. Einig sind sich zumindest alle darin, dass der Westen eine (Mit-) Verantwortung für die jetzige Situation im Irak trägt und daher dazu aufgefordert ist, sich intensiv Gedanken über mögliche Lösungen zu machen.