Sinn und Unsinn des Referendums in Griechenland

Die Verhandlungen zwischen den europäischen „Institutionen“ (ehedem „Troika“) bzw. der Euro-Gruppe und der griechischen Regierung um SYRIZA-Chef Alexis Tsipras, ist alles andere als arm an dramatischen Wendungen. Immer wieder wurde in den letzten Wochen das endgültige Scheitern der Gespräche angedroht, dann ging es doch irgendwie weiter, kurz darauf gerieten die Verhandlungen dann erneut ins Stocken. Griechenland stemmt sich gegen die Weiterführung der bisherigen neoliberalen europäischen Spar-Agenda, von der die maßgeblichen Instanzen der EU jedoch nicht lassen wollen.
Ende letzter Woche gab es dann wieder einen dramatischen Knalleffekt: Tsipras kündigte die Durchführung eines Referendums in Griechenland für den kommenden Sonntag an und brach gleichzeitig die bis dato laufenden Gespräche mit der Euro-Gruppe ab. Die griechische Bevölkerung soll über das jüngste Angebot der Griechenland-Gläubiger abstimmen. Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis werben nun offensiv für ein „Nein“ bei der Abstimmung. Varoufakis kündigte an, er werde von seinem Amt zurücktreten, wenn sich die Mehrheit der Griechen für ein „Ja“ entscheiden sollte. Mal wieder steht viel auf dem Spiel, für SYRIZA, Griechenland und Europa.

Auf seinem Blog gibt Varoufakis verschiedene Gründe an, warum die griechische Bevölkerung am Sonntag mit „Nein“ stimmen sollte. So hätten die griechischen Kreditgeber sich geweigert, den Griechen bei der Schuldenreduzierung entgegenzukommen. Stattdessen würden sie versuchen, die Schulden auf die Armen und Ärmsten abzuwälzen. Und das obwohl doch selbst der Internationale Währungsfond (IWF), die USA, viele andere Regierungen und auch diverse unabhängige Ökonomen erkannt hätten, dass die griechischen Schulden restrukturiert werden müssten. Was es bräuchte, sei ein stolzes Griechenland, das im Euro-Raum verbleiben, nun aber „Nein“ sagen müsse, um die griechischen Schulden neu (und mit neuem Selbstbewusstsein) verhandeln zu können.

Das sieht Pavlos Eleftheriadis, der der liberalen griechischen Oppositionspartei „To Potami“ nahesteht, auf Britain & Europe ganz anders: Das Referendum sei eine Entscheidung für oder gegen Europa bzw. die Europäische Union, für den Euro oder für die Wiedereinführung der Drachme. Ganz egal, was Tsipras und Varoufakis auch intendieren mögen, ein „Nein“ am Sonntag würde von den europäischen Geldgebern als Abwendung von Europa und seinen Institutionen interpretiert werden. Der „Grexit“, also das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro, wäre kaum noch vermeidbar, ebenso das Ausscheiden aus der EU. Chaos drohe.

Auf Deliberation Daily bemerkt Ariane, dass das Referendum eigentlich völlig unnötig sei. Durch ihren fulminanten Wahlerfolg hätte SYRIZA ein klares politisches Mandat und müsste sich nun keine neuerliche Bestätigung vom Volk holen. Für ihre Gegnerschaft zur Austeritätspolitik sei SYRIZA doch gewählt worden. Diese plötzliche Ansetzung des Referendums sei völlig überstürzt, es sei zudem ja noch nicht einmal klar, wofür oder wogegen man wirklich abstimmen solle. Auch die Euro-Gruppe und die „Institutionen“ stellten sich freilich nicht gerade clever an. Beide Seiten wollen sich um Entscheidungen und die Verantwortung am liebsten drücken und würden so der Politik- bzw. Politikerverdrossenheit der Menschen weiter Vorschub leisten.

Mark Schieritz skizziert auf Herdentrieb eine mögliche Lesart der inneren Logik des angesetzten Referendums. Es sei schon paradox: Am Sonntag solle über etwas abgestimmt werden, das gar nicht mehr auf dem Tisch liege, nämlich das letzte Angebot der Griechenland-Gläubiger. Darum gehe es nämlich, nicht um eine Befürwortung oder Ablehnung der europäischen Austeritätspolitik an sich oder um den Verbleib oder das Ausscheiden aus der Eurozone, wie dies oftmals – auch von der deutschen Regierung – behauptet würde. Möglicherweise tappten die europäischen Gläubiger, die das Referendum in dieser Weise hochstilisiert hätten, in eine von Tsipras und Varoufakis ausgelegte Falle. Letztere könnten dann gestärkt weiterverhandeln.

Das sei schon ganz schön clever, so Frank Lübberding auf Wiesaussieht, zumindest dann, wenn SYRIZA dazu in der Lage sei, das eigene Vorgehen hegelianisch durchzudeklinieren. Sie könnte ihr Missfallen gegenüber dem „neoliberalen Weltgeist“ kundtun und zugleich an den Verhandlungstisch zurückkehren, um sogar noch weitere Zugeständnisse zu machen als bisher. Doch ob SYRIZA wirklich derartig am deutschen Philosophen Hegel geschult sei, davon ist Lübberding nicht nachhaltig überzeugt.

Am Sonntag wird es wohl nicht zum endgültigen Showdown kommen, auch wenn ein solcher von verschiedenen Seiten beschworen und von manchen gar herbeigewünscht wird. In jedem Falle wird es spannend zu beobachten, was beide Seiten mit dem Ergebnis des Referendums anzufangen versuchen werden.

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