Beim Häuten der NSA-Affäre
Kennt die geheimdienstliche Datenüberwachung keine Grenzen? Als Edward Snowden im vergangenen Jahr offenlegte, wie westliche Geheimdienste – und insbesondere die US-amerikanische „National Security Agency“ (NSA) – im großen Maßstab die weltweiten Kommunikationsströme abfangen, auswerten und dabei kaum einen Unterschied zwischen „befreundeten“ und „feindlichen“ Staaten und deren Bevölkerungen machen, war die Empörung groß. Man hatte so etwas zwar schon immer diffus geahnt (und man war durch diverse Agenten- und Spionagefilme in gewisser Weise darauf vorbereitet), dennoch war man vor den Kopf gestoßen als aus den Mutmaßungen zunehmend Gewissheit wurde. Das wahre Ausmaß der Überwachung kommt seitdem Schicht für Schicht ans Licht: So wurde publik, dass selbst Angela Merkels Handy abgehört wurde. Oder dass gerade diejenigen, die ihre Privatsphäre im Internet zu schützen versuchen, sich vor den Augen der NSA verdächtig machen. Nach Merkel ist Sebastian Hahn das zweite namentlich bekannt gewordene NSA-Überwachungsopfer. Hahn betreibt einen Knotenpunkt des Anonymisierungsnetzwerks „Tor“ (mit dem charakteristischen Zwiebelsymbol) und geriet deshalb ins Visier des amerikanischen Geheimdienstes.
Es könnte durchaus hilfreich sein, so Wolfgang Michal auf Carta, dass Hahn dem Überwachungsskandal nun ein Gesicht gebe. Zu lange wäre der ganze NSA-Komplex nur relativ abstrakt und im Ungefähren geblieben. Nun könnte man eine richtige Geschichte erzählen und zwar die eines Studierenden, der gerade aus Sorge um die Privatsphäre im Internet zum Opfer der Überwachung wurde. Eine solche Geschichte tauge zur Skandalisierung und könne zur Mobilisierung gegen die massive Überwachungspraxis der NSA genutzt werden.
Jörg Wellbrock stellt auf Spiegelfechter die Frage, ob es angesichts der Überwachung gerade der Anonymisierungsdienste nicht besser wäre, auf Verschlüsselung zu verzichten. Vielleicht entgeht man so eher dem NSA-Suchraster? Wellbrock sieht das nicht als sinnvolle Alternative an und betont, dass ja gar nicht bekannt wäre, ab wann man sich im Netz in den Augen der NSA verdächtig mache. Vielleicht reiche es schon aus, relativ unverfängliche Begriffe wie „Schlüsseldienst“ bei Google einzugeben, um auf dem Radar der NSA aufzutauchen. Niemand könne sich also zurücklehnen und sicher fühlen. Es liegt eben noch vieles im Dunklen und Wellbrock ist skeptisch, ob die von der Bundesanwaltschaft angekündigte Untersuchung der Überwachung Hahns Früchte tragen wird.
Immerhin fördert im Moment der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags immer neue Details und Facetten des Skandals zutage. Auch die Frage nach der Verstrickung des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) mit der NSA ist dabei ein wichtiges Thema. In einer Zeugenbefragung bezeichnete der ehemalige NSA-Mitarbeiter Thomas Drake den BND als einen „Wurmfortsatz“ der NSA, der spätestens seit 2001 bereitwillig Informationen weitergegeben habe – etwa zur Unterstützung von Drohnenangriffen im Rahmen des von den USA geführten globalen „Kriegs gegen den Terror“.
Dies verwundert wiederum Wolfgang Michal wenig, der auf Carta darlegt, wie eng der BND seit seiner Gründung mit den US-Geheimdiensten verbandelt sei. So habe die amerikanische „Central Intelligence Agency“ (CIA) den BND von Beginn an begleitet und (mit-) geführt und war über alle Abläufe gut informiert. Michal betont, dass insbesondere der nie ganz auszuräumende Zweifel der CIA am BND – aufgrund der Nazi-Verstrickungen einiger seiner führenden Mitglieder – dazu geführt habe, diesen besonders gefügig zu machen.
Doch wie passt es dann ins Bild, dass aktuell ein BND-Angestellter festgenommen wurde, dem eine Spionagetätigkeit für die USA vorgeworfen wird? Der verdächtigte BND-Mitarbeiter soll über seinen Privatcomputer geheime Dateien an die USA übermittelt haben. Doch warum ist das nötig, wenn der BND nur ein willfähriges Anhängsel der NSA sein soll?
Burkhard Schröder findet das auf Burk’s Blog alles schon ein wenig seltsam und zählt einige verwunderliche Details und Widersprüche des vermeintlichen Doppelspionage-Falls auf. Zu dilettantisch sei da so Einiges gewesen: Nur mäßig fantasievoll seien Dateien hinter der Oberfläche einer Wetter-App versteckt worden. Die Kommunikation sei vonseiten des der Spionage beschuldigten BND-Mitarbeiters ausgerechnet über einen Google Mail-Account abgewickelt worden. Dieser abenteuerlichen Geschichte will Schröder nicht so recht Glauben schenken und hält sie zunächst eher für einen PR-Gag des Verfassungsschutzes. Dass das Ganze dann wohl doch keine Ente sei, wie Schröder wenig später einräumt, macht es für ihn aber fast noch absurder.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist angesichts all dieser neuen Enthüllungen in der NSA-Affäre jedenfalls nachhaltig empört und fordert entschiedene politische Konsequenzen. Auf Telepolis ruft sie dazu auf, den unlängst eröffneten deutsch-amerikanischen „Cyberdialog“ über Fragen der digitalen Zukunft zu quittieren sowie alle Datenschutzabkommen und die TTIP-Verhandlungen einzufrieren. Da es den Bürgern ganz offensichtlich nicht möglich sei, sich selbst vor dem Ausspähen durch die NSA zu schützen, müsse endlich die Bundesregierung entschlossen handeln.
Richard Herzinger warnt auf seinem Freie Welt-Blog vor solchen (vorschnellen) Reaktionen. Die transatlantischen Beziehungen dürfte man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, wo doch angesichts vieler schwelender internationaler Konflikte – Irak, Ukraine/Russland, Iran etc. – eine möglichst vertrauensvolle Zusammenarbeit der westlichen Länder wichtiger denn je sei. Die empörten Reaktionen angesichts der neuen Enthüllungen im NSA-Skandal hält er jedenfalls für übertrieben. Auch befreundete Geheimdienste hätten sich in der Vergangenheit immer wieder gegenseitig ausgeforscht. Daran sei die Partnerschaft noch lange nicht zerbrochen. Anstatt Hirngespinsten einer geplanten amerikanischen Unterwerfung nachzuhängen, solle man das gesteigerte Interesse der USA an Deutschland als das nehmen, was es im Grunde viel eher sei: Eine Aufforderung an Deutschland, sich stärker in der Weltpolitik einzubringen und endlich eine Führungsrolle zu übernehmen.
Die Auseinandersetzung mit der NSA-Affäre hat etwas vom Häuten einer Zwiebel. Legt man die eine Schicht frei, lauert darunter gleich die nächste. Zudem ist das Häuten oft schmerzhaft. Es kann einem die Tränen in die Augen treiben. Im Falle des NSA-Skandals wahlweise Tränen der Empörung, Tränen der Enttäuschung, Tränen der Wut oder Tränen der Trauer. Manch einer gibt das Häuten dann auf, weil er der Tränen satt ist. Oder weil er den Glauben daran verliert, jemals zum Kern der Sache vordringen zu können. Vielleicht ist so auch das schwindende Interesse der Öffentlichkeit an dem Skandal zu erklären.