Mehr als große Emotionen? Das Gedenken an den Mauerfall

Vor 25 Jahren fiel die Mauer, die Teilung Berlins wurde aufgehoben und der Kalte Krieg war beendet. An diesen Tag wurde in Deutschland und vor allem in Berlin mit zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen gedacht. Sämtliche Medien begleiteten die groß angelegten Ereignisse, wie zum Beispiel die Grenze aus leuchtenden Ballons.

Die Künstlerin Christina Weiß hat diese „Lichtgrenze“ fotografiert. Indem sie die Ballons aus kurzer Distanz und vornehmlich bei Tageslicht aufnimmt, wirken die aufgereihten Ballons kaum mehr wie eine Grenze. Es macht eher einen spielerischen Eindruck, wie einzelne Dekorationsobjekte zwischen den Berliner Häusern aufleuchten. Ein Ballon neigt sich – fast schelmisch – einem offenbar authentischen Mauerrest entgegen und zeigt damit aufs Deutlichste, wie hier das Symbolische und das Dekorative auf die geschichtliche Wirklichkeit treffen. Ein anderes Bild zeigt über der Lichtgrenze einen Fesselballon, mit dem Werbeaufdruck „DIE WELT“. Woran lässt sich hier denken: An die freie Presse der alten BRD? Oder an den Kapitalismus, der bereits mit seinen Werbeverheißungen über die Grenze flog? Ein Foto jedenfalls, das starke Assoziationen hervorruft.

Auf kosmopolitissa wird ebenfalls die Lichtgrenze aufgegriffen: Sie symbolisiert die Freude darüber, dass die Mauer fiel, und darüber, wie sie fiel. Und die Lichtgrenze war nicht nur ein Symbol, denn die aufsteigenden Luftballons lösten selbst starke Emotionen aus. „Emotionen“ allerdings sind das eine, das andere sei es, aus den vergangenen Ereignissen zu lernen. Doch wie steht es um Deutschland 2014? Was wurde denn gelernt?

An die NSU-Morde und den laufenden Prozess wird unter anderem auf kosmopolitissa erinnert. Am 8. November 2011 hatte sich Beate Zschäpe der Polizei gestellt. Der Prozess dauert nun schon lange an, aber die Chancen, dass die Tathergänge umfänglich aufgeklärt werden, sinke, weil viele Zeugen sich auf „Erinnerungslücken“ beriefen. Was sollen denn in so einem Zusammenhang, im Zusammenhang des aktuellen politischen Geschehens, „große Emotionen“ bedeuten?

Das wirft auch die Frage auf, wie richtigerweise an ein Ereignis gedacht werden soll. Zettels Raum ironisiert genau das, diese Frage nach dem „richtigen“ Gedenken. Gerade in Deutschland scheine das Gedenken besonders kompliziert zu sein und hier müssten alle Eventualitäten berücksichtigt werden. Alle Betroffenen sollten in jeder Gedenkrede untergebracht werden, was zu solch einer Bemühtheit führe, dass das Gedenken erst recht würdelos erscheine. Damit werden solche Gedenkveranstaltungen grundsätzlich fragwürdig, oder zumindest ihre Form. Auf Zettels Raum wird alternativ auf zwei Einzelschicksale verwiesen, die über „ihren“ Mauerfall berichten und so der großen Geschichte kleine eigene Geschichten hinzufügen.

Roberto J. De Lapuente greift das Gedenken des Mauerfalls dagegen sehr konkret an: Es seien vor allem Klischees und westdeutsche Arroganz zu vernehmen gewesen. Zudem klänge das gesamte Gedenken, wie das Wort vom „Ende der Geschichte“. Indem die Mauer fiel, so die allzu einfache und auch falsche Version, wurde Ostdeutschland befreit und es erfüllte sich den Traum vom Kapitalismus. Doch so eine Version der Geschichte ist eine Geschichte aus der Sicht der Gewinner, schreibt De Lapuente. Und damit werden viele Bestrebungen der DDR-Bürgerrechtler unterschlagen, die gar keine Wiedervereinigung im Sinn hatten, sondern oftmals vor allem für Menschen- bzw. Bürgerrechte eintraten. Diese Komplexität müsste gerade ins Gedächtnis gerufen werden, denn damit würde ersichtlich, dass die alte BRD keineswegs die Erfüllung aller Träume gewesen sei. Damit gewänne dann das – durchaus freudige – Gedenken einen selbstkritischen Zug, den De Lapuente schmerzlich vermisst.

Auf Sätze und Schätze wird anlässlich des Mauerfalls das „Handbuch der politischen Poesie“ von Joachim Sartorius vorgestellt. In der Rezension kommen einige Dichter zu Wort. Und Heiner Müller scheint auf De Lapuente zu antworten, wenn er sich selbst vorwirft, er hätte manches Mal geschrieben, als sei er im Besitz der Wahrheit. Die selbstkritischen Zeilen waren zwar auf Müllers kommunistisches Gedankengut gemünzt, das er im Angesicht des Mauerfalls nicht mehr als Wahrheit ansehen möchte, doch scheinen die Verse für uns auch eine andere Bedeutung gewonnen zu haben:

„Meine Herausgeber wühlen in alten Texten

Manchmal wenn ich sie lese überläuft es mich kalt Das

Habe ich geschrieben IM BESITZ DER WAHRHEIT […]“

Die Verse mahnen eine Selbstkritik an, die den Bloggerinnen und Bloggern angemessen zu sein scheint. Und womit das Gedenken dann tatsächlich das Denken bewegen könnte und nicht nur einen Augenblick lang große Emotionen weckt.