Der verwirrende Kampf im und um den Jemen
Die Lage im Jemen ist unübersichtlich – gelinde ausgedrückt. Die schiitischen Huthi aus dem Norden des Landes hatten mit ihrem Vorrücken den amtierenden jemenitischen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi, der Sunnit ist und in Folge des „arabischen Frühlings“ den Schiiten Ali Abdullah Salih als Staatsoberhaupt abgelöst hatte, zum Rückzug gezwungen. Schnell kontrollierten die Huthi-Truppen große Teile des Landes. Dies nahm eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition – der außerdem Ägypten, Bahrain, Jordanien, Katar, Kuwait, Marokko, Pakistan, Sudan und die Vereinigten Emirate angehören sollen – vor wenigen Tagen zum Anlass, um unter dem Namen „Sturm der Entschlossenheit“ massive Luftschläge gegen Huthi-Stellungen zu initiieren. Erklärtes Ziel der militärischen Offensive ist es, den gewählten Präsidenten des Jemen wieder ins Amt zu bringen und die Huthi zurückzudrängen.
Auf informed Comment versucht Michael Scollon ein paar klare Trennlinien zum besseren Verständnis des momentanen Konflikts herauszuarbeiten (zuerst hier erschienen). Den Jemen charakterisiert Scollon als ein Land, das von mehreren binären, antagonistisch angelegten Unterscheidungen geprägt sei: Es gebe zwei Führer (Hadi und Salih), zwei Regionen (den Norden und den Süden), zwei „Hauptstädte“ (Sana’a im Norden und Aden im Süden), zwei Interpretationen des Islam (Sunnismus und Shia), zwei mächtige extremistische Gruppen (Huthi und al-Qaida), eine regionale Macht die den amtierenden jemenitischen Präsidenten Hadi (Saudi Arabien) unterstützt und eine, die sich für dessen Vorgänger Salih einsetzt (Iran).
Clemens Wergin interpretiert die von Saudi-Arabien angeführte Militärintervention im Jemen als einen Stellvertreterkrieg, dessen Kern der Kampf um die regionale Vorherrschaft zwischen sunnitischem und schiitischem Lager sei. Das sunnitisch regierte Saudi-Arabien, so Wergin auf dem flatworld-Blog, kämpfe mit seinen Verbündeten indirekt gegen den schiitisch geführten Iran, der die Huthi-Rebellen unterstütze und dadurch seinen Einflussbereich in der Region weiter zu vergrößern versuche.
Für die USA sei diese Gemengelage einigermaßen kompliziert. Sie stellten sich (weitestgehend symbolisch) hinter die Operation „Sturm der Entschlossenheit“ und damit auch gegen den Iran, mit dem sie jedoch zugleich im Irak eine Art Allianz gegen den IS bilden.
Die von Saudi-Arabien ins Leben gerufene Militärallianz sei sowohl ein sunnitisches Abwehrbollwerk gegen den Iran als auch ein Misstrauensvotum gegen die USA, deren Verlässlichkeit in den Augen Saudi-Arabiens in letzter Zeit einen ordentlichen Knacks bekommen habe.
Auch Thomas W. Lippmann ist auf LobeLog der Meinung, dass es bei der Militärintervention nur nachrangig darum gehe, Hadi wieder in Präsidentenwürden zu bringen. Vielmehr fürchte sich Saudi-Arabien davor, nach und nach von schiitisch geführten Staaten eingekreist zu werden. Der Iran habe die gleiche Sorge, nur genau andersherum. Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, der früher durch die gemeinsame Einbindung in das Osmanische Reich weitestgehend entschärft wurde, so Lippmann, sei durch keine äußere Macht mehr eingehegt bzw. einhegbar – mit fatalen Konsequenzen.
Dass es sich bei dem Konflikt im Jemen um eine neue Stufe der Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten handele, bezeichnet Graham F. Fuller auf The WorldPost als einen Mythos. Viel eher handele es sich um eine Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe der jemenitischen Schiiten. Zwar seien die Huthi Schiiten, jedoch gehören sie der Strömung der Zaiditen an, die den iranischen Schiiten theologisch relativ fern und dem Sunnismus verhältnismäßig nahe stünden. Historisch gesehen hätten die Zaiditen und damit auch die Huthi mit dem Iran wenig zu schaffen gehabt. Sie als Vorhut oder Speerspitze eines expansiven iranischen Imperialismus zu bezeichnen, wie Saudi-Arabien dies derzeit tue, sei verfehlt, so Fuller, auch wenn sie sicherlich die ein oder andere Hilfe des Iran angenommen hätten, wie so viele andere Akteure der Region auch.
Emile Nakhleh befürchtet auf LobeLog, dass der Staat Jemen kurz davor stehe, endgültig zu scheitern und dass die Operation „Sturm der Entschlossenheit“ dies ganz maßgeblich befördern werde. Die Militäroffensive würde nur noch mehr Zerstörung und Zerwürfnisse bringen, da sie keinerlei Rücksicht auf die Gegebenheiten im Jemen nehme. Der Region brächte sie keine Stabilität – ganz im Gegenteil. Saudi-Arabien stehe bald vor den Trümmern seiner militärischen Initiative und sollte sich spätestens dann darauf besinnen, dass nur der diplomatische Weg Frieden für die Region bringen könne.
Auch Edward Burke spricht auf openDemocracy von einem großen Fehler, den Saudi-Arabien mit der militärischen Intervention im Jemen begangen habe. Der neue König Salman habe sich deutlich übernommen. Schon 2009 hätte Saudi-Arabien eine militärische Auseinandersetzung mit den Huthi nicht siegreich für sich gestalten können. Zudem sei der von den Huthi abgesetzte Präsident Hadi irreparabel beschädigt. Er genieße beim Militär und bei den verschiedenen Gruppen im Jemen nur wenig Rückhalt und könne nicht wieder ins Amt gehoben werden. Die viel größere Gefahr für Saudi-Arabien sei außerdem al-Qaida, der man mit den Angriffen auf die Huthi einen Gefallen tun würde. Das Verhältnis zu den traditionell verbündeten USA verkompliziere sich zudem weiter. Eigentlich müsste man, so Burke, Saudi-Arabien im Jemen vor sich selbst schützen, bei so viel Schaden, den sich das Königreich selbst zufüge.
Wie handelt man in einer so verworrenen Situation, wie sie derzeit im Jemen und der es umgebenden Region herrscht? Hält man sich heraus? Versucht man zu vermitteln, zu besänftigen? Sucht oder unterstützt man eine militärische Lösung? Das sind Fragen, die sich nicht nur die westlichen Staaten stellen dürften.