Gestörtes Gerechtigkeitsempfinden: Uli Hoeneß ist Freigänger
Seit Anfang des Jahres ist Uli Hoeneß ein so genannter Freigänger, das heißt, er verbringt die Nächte in der Justizvollzugsanstalt und geht am Tage einer Arbeit nach. Er übernimmt ab sofort eine Aufgabe im Jugendbereich des FC Bayern München. Sein Büro hat er offenbar bereits wieder bezogen.
Ist das gerecht? Nach nur sieben Monaten Haft bekommt er Freigang. Und die Weihnachtstage durfte er schon bei seiner Familie verbringen. Ist das die Vorzugsbehandlung eines Prominenten?
Hoeneß, der sich vor allem in seiner Zeit als Manager des FC Bayern München immer wieder durch „klare Ansagen“ ins Gespräch brachte, wird nun besonders genau beobachtet. Er hatte selbst teilweise hohe moralische Ansprüche an Personen des öffentlichen Lebens geäußert, besonders seine Aussagen über Christoph Daums Kokain-Konsum sind in Erinnerung geblieben. Nun wird sein Leben von der Öffentlichkeit beurteilt.
Frank Bilstein wirft zunächst einen Blick auf die Rechtslage in Bayern: Wann ist Freigang eigentlich angebracht? Zu welchem Zeitpunkt der Haftstrafe kann diese durch Freigang erleichtert werden? Bilstein recherchiert, dass Freigang grundsätzlich erteilt werden kann, wenn die Haftstrafe nicht mehr länger als 18 Monate dauert. Hoeneß hat allerdings erst sieben Monate im Gefängnis verbracht und noch mehr als 30 Monate vor sich, selbst wenn aufgrund guter Führung seine Haftstrafe deutlich verkürzt wird, gilt diese Regel für ihn also nicht. Allerdings existiert eine Ausnahmeregelung für den Freigang, so dass juristisch – wie auch nicht anders zu erwarten – alles in Ordnung ist. Moralisch ist das Vorgehen für Bilstein jedoch fragwürdig, da von der Verurteilung, 3,5 Jahre Haft, kaum etwas übrig bleibe. Das werfe ein schlechtes Licht auf die Justiz, denn das Urteil wird anscheinend gar nicht tatsächlich vollstreckt, sondern nur in einer deutlich abgeschwächten Form.
Einen anderen irritierenden Aspekt des Freigangs entdeckt zynischerbastard: Für eine Haftvollzugslockerung kommen, nach seiner Recherche, Personen nicht in Frage, die „suchtgefährdet“ seien. Hoeneß gab selbst an, er sei „spielsüchtig“ gewesen. Laut eigener Angabe sei er davon mittlerweile geheilt, allerdings wirft zynischerbastard das Problem zu Recht auf, ob solch eine Sucht in diesem Zusammenhang nicht gelte, ob allein Drogensucht gemeint sei, und Uli Hoeneß eben nicht in dieses Bild eines Süchtigen passe.
Besonders problematisch sei es zudem, dass Hoeneß ausgerechnet in der Jugendabteilung eine Arbeit bekomme. Auch der Brasilianer Breno, der wegen Brandstiftung verurteilt wurde, begann während der Lockerung des Vollzugs in der Jugendabteilung des FC Bayern München. Welche Vorbilder werden damit den Jugendlichen gegeben?
Gerhard Mersmann hält die gesamte Causa Hoeneß für ungerecht. Die Rechtsprechung müsste seiner Ansicht nach verändert werden, wenn hier alles rechtens gewesen sei. Es gehe im Fall Hoeneß nicht um dessen Verdienste als Manager der FC Bayern München. Wenn in manchen Diskussionen Hoeneß mit Blick auf diese Leistungen moralisch vollständig rehabilitiert werden soll, dann werde etwas durcheinandergebracht. Die Rechtsprechung habe dafür zu sorgen, dass die Institutionen des Staates und das Volk Angriffe unbeschadet überstehen, nicht das Bild einer öffentlichen Person vor Kratzern zu bewahren. Mersmann deutet an, dass das Recht durch mächtige Lobbys gebeugt werde.
Der Fall Uli Hoeneß erregt viele Menschen, nicht allein aus Sensationsgier, sondern weil sich hier beispielhaft zeigt, inwieweit vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind – oder eben nicht. Das Gerechtigkeitsempfinden vieler Beobachter ist durch die aktuelle Haftlockerung gestört. Ob das in der Zukunft einmal politische Konsequenzen haben wird, wird sich zeigen.