Hat das was mit dem Islam zu tun? Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“
Der Menschen, die bei dem Anschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und der Geiselnahme im jüdischen Supermarkt ums Leben kamen, wurde am Sonntag in Paris und in vielen anderen Städten gedacht. In Frankreich gingen mehrere Millionen Menschen auf die Straßen, um ihre Anteilnahme auszudrücken. Dabei zeigte sich in Frankreich etwas, das ähnlich in Deutschland zu beobachten ist: Der angekündigte „Trauermarsch“ bestand nicht allein in öffentlich gezeigter Trauer, sondern der Marsch wurde auch als „Demonstration“ genutzt und von verschiedenen Seiten politisch gedeutet.
Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ provoziert unterschiedliche Deutungen, er provoziert offenbar Vereinnahmungen und er befördert verschiedenen Diskussionen. Thomas de Maizière, der deutsche Innenminister, betonte in den letzten Tagen immer wieder, wie wichtig es sei, zwischen Islam und Islamismus zu differenzieren. Der Islamismus müsse bekämpft werden. Dagegen ist es vollkommen unstrittig, dass die allermeisten Muslime in Europa gar nichts mit derartigen Anschlägen zu tun haben und nun keinesfalls unter Generalverdacht gestellt werden dürfen. Aber damit scheint das Problem nicht aus der Welt zu sein. Die beiden mutmaßlichen Attentäter, die von der französischen Polizei erschossen wurden, und der Geiselnehmer waren Muslime. Und die Fragen stehen nun einmal im Raum: Hat dieser Anschlag etwas mit dem Islam zu tun? Geht es hierbei um Religion? Und falls ja, um welche eigentlich?
Genova schreibt auf Exportabel, es sei entnervend, dass immer wieder darauf hingewiesen werde, solche Anschläge hätten nichts mit dem Islam zu tun. Der Islam sei nämlich genau das, was daraus gemacht werde. Das heißt, wenn der Koran von manchen Menschen so verstanden werde, dass er zur Gewalt aufruft, dann sei dies zunächst einmal so hinzunehmen. Der Vorwurf, der Islam werde bloß instrumentalisiert, treffe deshalb nicht zu. Denn offenbar lässt er sich von manchen Anhängern in dieser Weise nutzen. Dabei weitet Genova die Kritik auf monotheistische Religionen insgesamt aus, die stets ein latent faschistisches Element besäßen. Das bezieht sich auf den Alleingeltungsanspruch monotheistischer Religionen, zu denen der Islam gehört.
Wenn man dieser Argumentation folgt, dann scheint es besonders wichtig zu sein, wie sich der Islam zu den Gewalttaten stellt. Ufuk Özbe kritisiert auf dem Blog Die Achse des Guten die Reaktionen, die von Muslimen zu hören seien. Er stellt fest, dass ein kleiner Teil den Anschlag keinesfalls verdammt, sondern sogar gutheißt oder zumindest rechtfertigt oder verharmlost. Das sei so – zwar nicht in Deutschland – in einigen öffentlichen Äußerungen zu vernehmen gewesen.
Viele andere Muslime, die den Anschlag verurteilen, stellten wiederum heraus, dass er nichts mit dem Islam zu tun habe. Solchen Aussagen kann Özbe etwas Gutgemeintes abgewinnen, denn sie sollen sicherlich dazu beitragen, jetzt besonnen zu reagieren und nicht die Gesamtheit der Muslime mit solchen Gewalttaten irgendwie in Verbindung zu bringen.
Özbe fragt jedoch, ob es nicht im Islam selbst, in seinen wichtigsten Quellen, Hinweise auf eine Rechtfertigung von Gewalt gebe. Er will damit den Islam keineswegs als Religion der Gewalt darstellen, sondern eine Selbstkritik innerhalb des Islams befördern, die sich mit diesen drängenden Fragen auseinandersetzt. Wie geht die islamische Theologie mit den Koranstellen oder der Überlieferung der Hadith-Sammlungen um, auf die sich die Gewalttäter beziehen? So sei in den Hadith-Sammlungen beispielsweise eine Geschichte, in der Menschen getötet werden, weil sie den Propheten verspotteten. Wo ist der Unterschied zu den Morden in Paris? Nur der Hinweis, das sei nun mal kein Islam greife jedenfalls deutlich zu kurz.
Es geht dabei auch um die Deutungshoheit. Wer sagt denn, was der „richtige“ islamische Glaube sei? In einem anderen Artikel auf der Achse des Guten stellt Thomas M. Eppinger deshalb fest: Der friedliebende Islam muss die Deutungshoheit über das, was der Islam sei, nun durchsetzen.
Wie das gehen soll, ist selbstverständlich ein schwieriges Problem. Der Islam wird ganz unterschiedlich verstanden und ausgelebt. Der Glaube ist stets auch etwas Individuelles. Darauf weist Roberto De Lapuente hin, und er stellt unser Bild des islamistischen Terroristen infrage. Die mutmaßlichen Mörder wollten dem Anschein nach, keinesfalls als „Märtyrer“ sterben, sie flohen vom Tatort, sie verschanzten sich in einer Druckerei. Das furchterregende Bild eines Menschen, der nichts zu verlieren habe, sei hier falsch. Auch insofern ist das Bild vom „guten“ Islam und „absolut bösem“ Islamismus vielleicht zu einfach. Es gelte, die Zwischentöne, die Komplexität der Phänomene zu erfassen.
Michael Ramminger sucht auf dem Blog des Instituts für Theologie und Politik in Münster nach dem, was den Islamismus ausmacht. Er weist darauf hin, dass nicht nur die Religionen Fundamentalismus und Fanatismus hervorbringen. Dieser Fanatismus hätte in der Moderne komplexe Bedingungen. Der Fanatismus sei vor allem kein „Problem von außen“, sondern ein Problem unserer Gesellschaft, dem sie sich stellen müsse. Und damit ist die Verantwortung dann nicht auf die islamische Religionsgemeinschaft abgeschoben. Im Gegenteil ist damit unsere moderne Gesellschaft insgesamt gemeint.
Die Suche nach Antworten verläuft derzeit mindestens auf zwei Ebenen. Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ soll konkret, bei allen noch unsicheren Sachverhalten, aufgeklärt werden. Und es wird in den Blogs nach den Bedingungen für die Tat gefragt. Hier scheint die Diskussion besonders wichtig, um nicht bei der „bloßen Solidarität“ stehen zu bleiben, sondern tatsächlich in ein Gespräch zu kommen, das aufklärerisch wirkt.