Der Frankfurter „Blockupy“-Protest zur Einweihung des neuen EZB-Gebäudes
Schwarze Rauchschwaden hingen gestern über Frankfurt am Main. Fahrzeuge brannten, Barrikaden wurden errichtet, Menschen verletzt. Eine Stadt im Ausnahmezustand. Gewaltsame Auseinandersetzungen waren befürchtet worden – und sie traten prompt ein. Das „Blockupy“-Bündnis mobilisierte schon seit geraumer Zeit eine breite Schar linker und kapitalismuskritischer Gruppen und Organisationen aus dem In- und Ausland, um in Frankfurt zu demonstrieren. Dort wollte man die Einweihung des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank (EZB) am gestrigen Mittwoch zum Anlass nehmen, um gegen die Politik der EZB, die auch Bestandteil der sogenannten „Troika“ ist, zu protestieren. Unter anderem mit Zäunen, Stacheldraht und Wasserwerfern versuchten 8000 Polizisten der Situation in der Stadt – und rund um das neue EZB-Gebäude – Herr zu werden.
Die mediale Berichterstattung fokussierte schnell auf die Gewalt und die Randale in Frankfurt; die Auseinandersetzung über die inhaltlich-programmatische Dimension der Demonstration wurde durch die dramatischen Bilder in den Hintergrund gedrängt. Das ist einerseits verständlich, greift andererseits aber auch zu kurz, zumindest wenn es dabei bleibt.
Auf der „Blockupy“-Seite kann man nachlesen, wofür die Organisatoren des Bündnisses eintreten. In einem Aufruf wird Solidarität mit den Menschen in Griechenland gefordert. Die Mehrheit der Griechen hätte sich im Rahmen einer demokratischen Wahl gegen die neoliberale Austeritätspolitik der europäischen Institutionen entschieden, dafür würden sie nun gemobbt. Um einem befürchteten Dominoeffekt in Europa entgegenzuwirken, würden die europäischen Institutionen versuchen, Griechenland einzuschüchtern, zu disziplinieren und zum Einknicken zu bringen. Als maßgeblich (mit-) verantwortlich für diese Nötigung und Erpressung der Griechen, erachten die „Blockupy“-Organisatoren die EZB, die demokratisch zudem nicht legitimiert sei. „Blockupy“ lehnt die Arbeit der EZB entschieden ab und fühlt sich auch insgesamt von den europäischen Machteliten nicht repräsentiert. Mit „massenhaften Aktionen gegen die Eröffnungsfeierlichkeiten“ des EZB-Gebäudes solle ein Zeichen gegen die verhängnisvolle Krisenpolitik gesetzt werden und Frankfurt zum Ort eines europäischen Referendums gemacht werden. Denn die europäische Sparpolitik sei nicht nur für die Griechen, sondern für ganz Europa schlecht, da sie die Prekarisierung und den sozialen Abstieg großer Bevölkerungsteile in ganz Europa vorantreibe.
Im Lower Class Magazine findet sich ein Interview, das C. Stahl vor den Demonstrationen mit Hannah geführt hat, die eine der Sprecherinnen des „Blockupy“-Bündnisses ist. Hannah ist der Meinung, dass es angesichts der sich zuspitzenden Lage in Europa wieder an der Zeit sei, „ungehorsam“ zu werden und gemeinsam gegen die vielbeschworene Alternativlosigkeit der Politik aufzustehen. Man richte sich gegen die von der EZB mit vorangetriebene „Verelendungspolitik“, kämpfe für die Überwältigung des derzeitigen Krisenkapitalismus und wolle in keinem Fall einen Keil zwischen sich und Griechenland treiben lassen. Die Demonstration gegen die Einweihung des neuen EZB-Gebäudes dürfte kein Endpunkt, sondern müsse eine Zwischenstation bei der Etablierung neuer, grenzüberschreitender Streikformen sein.
Auch auf dem Blog Kritische Strassen, kritische Massen ist man darum bemüht, die Geschehnisse in Frankfurt in einen weiteren Rahmen einzuordnen. Einerseits würde feierlich der EZB-Doppelturm eingeweiht, dessen Errichtung mehr als eine Milliarde Euro verschlungen hatte, während andererseits in vielen Ländern im Zuge der Sparpolitik die Sozialausgaben gnadenlos gekürzt würden. Da sei es kein Wunder, dass sich Wut anstaue, die sich nun, an diesem symbolischen Tag, in Protesten entlade. Auch in anderen Ländern protestieren derzeit bzw. in naher Zukunft viele Menschen gegen Privatisierungen oder Sozialkürzungen, etwa in Frankreich, Italien und vor allem in Spanien, wo sich der „Marsch der Würde“ für die Grundbedürfnisse der Menschen einsetze. In vielen verschiedenen Ländern bildeten sich von unten her Bewegungen heraus, die für eine „Rückeroberung der Menschenwürde“ einträten. Anzeichen für einen „europäischen Frühling“?
Auf PER5PEKTIVENWECHSEL nimmt man die „Symbolik der Macht“, die die EZB-Türme ausstrahlen, unter die Lupe. Die Architektur und der Standort der Türme ließen keine Fragen offen, wer und was in Europa momentan herrsche: die Großfinanz, der Marktliberalismus und der Monetarismus. Der zweifelhafte Glanz eines „postkolonialen Geldhauses“ strahle nun über der Frankfurter Skyline. Mit seiner Politik befördere die EZB die Ausbreitung der Armut der Vielen und mehre den Reichtum einiger Weniger. Die entscheidende Frage sei nun, wie viel Zorn sich bei den Menschen angestaut hätte und ob sich dieser gegen die derzeitige Führungs- und Steuerungstechnik der EU wende.
Auch Roland Tichy richtet seinen Blick auf die Architektur des rund 185 Meter hohen EZB-Doppelturms und spricht von einer „Demonstration der Macht“, die dieser verkörpere. Obwohl Tichy von den diffusen Argumenten der linken Demonstranten herzlich wenig hält, er weist deren Anliegen sogar brüsk zurück, da sie nur die Anwendung von Gewalt verschleiern wollten, so hält er Protest gegen die Einweihung des EZB-Doppelturms für berechtigt. Die EZB habe ihr Mandat in der jüngeren Vergangenheit deutlich überspannt, sich eine Rolle angemaßt, die ihr nicht zustehe und die demokratisch nicht legitimiert sei. Diese Anmaßung, dieser Größenwahn, sei architektonisch schon vorhergeahnt und vorweggenommen worden, so Tichy. Nicht eingerahmt in – und relativiert durch – das Ensemble der schon vorhandenen Frankfurter Hochhaustürme des Bankenviertels, sondern bedrohlich, abweisend und geradezu monströs alleine dastehend, wirke der Doppelturm wie eine fremde Macht, die herrschen wolle und alles um sich herum klein mache.
Und dennoch, dem bloß auf Zerstörung angelegten Wirken der linken Demonstranten will Tichy nicht beiseitestehen, wie er auch in einem anderen Artikel feststellt. Diese demonstrierten gegen die EZB nicht wegen ihrer verfehlten Euro-Rettungspolitik, die die Länder Südeuropas finanziell ja durchschleppe und damit unseren Wohlstand gefährde, sondern einfach, weil man irgendwie dagegen sei und solche Demonstrationen als Bestandteil eines linken Lifestyles schätze. Dass viele dem gewaltsamen Treiben mehr oder weniger wohlwollend zuschauten, findet Tichy schon seltsam, respektive dumm.
Auf ScienceFiles kann Michael Klein der von den „Blockupy“-Demonstranten häufig verwendeten Klassenkampfrhetorik nichts abgewinnen. Diese werde nur dazu genutzt, um den eigenen Hang zur Gewalt endlich offen ausleben zu können. Von den Menschen im Süden Europas, mit denen sich die Demonstranten solidarisch erklären und für die man sich vorgeblich einsetze, seien die Demonstranten doch gar nicht legitimiert worden. Klein tendiert dazu, „Blockupy“ gar als eine terroristische Vereinigung einzuschätzen, deren zukünftige Veranstaltungen es aufgrund der zu erwartenden Gewalt zu verbieten gelte. Wer ein Recht – in diesem Falle das Recht auf Versammlungsfreiheit – wiederholt missbraucht habe, der habe es auch irgendwann verwirkt, so Klein.
Dass bei der versuchten Bewältigung der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise in den vergangenen Jahren Fehler begangen wurden, ist nur wenig umstritten. Hitziger ist die Debatte darum, welche Fehler begangen wurden und wie – das heißt mit welchen Mitteln – man der EU und seinen Bürgern wieder nachhaltig auf die Beine helfen kann. „Blockupy“ kann eine durchaus bedenkenswerte Krisendiagnostik liefern, gehört wird sie freilich nicht, wenn Gewalt und Zerstörung die Szenerie beherrschen, wie gestern in Frankfurt.