Ermittlungen wegen Landesverrat: Die Blogger von Netzpolitik.org unter Verdacht

Netzpolitik

“Ideen im Land” von Pirapakar Kathirgamalingam.

Die Ironie sitzt: Der bekannte Blog Netzpolitik.org, der 2014 den Grimme-Online-Award gewinnen konnte, wurde gerade als „Ort“ im „Land der Ideen“ ausgezeichnet, weil er sich für ein „offenes Web“ einsetze. „Warum darf es im Web keine Zensur geben?“ steht als Frage in der Begründung der Auszeichnung. – Da wurde bekannt, dass wegen Landesverrat gegen den Betreiber der Blogs, Markus Beckedahl, und einen Blogger, Andre Meister ermittelt wird.

Das Schreiben, in dem der Generalbundesanwalt Harald Range begründet, weshalb Ermittlungen aufgenommen werden, hat Netzpolitik.org am 30. Juli veröffentlicht. Grund für die Ermittlungen seien die Veröffentlichungen vertraulicher Dokumente über den geplanten Ausbau der Internet-Überwachung des Verfassungsschutzes. Bereits am 15. April hatte Meister auf Netzpolitik.org die Dokumente veröffentlicht und kommentiert. Das Echo in Politik und Medien war im April schon deutlich zu hören gewesen: Empörung über diesen fragwürdigen Ausbau des Überwachungsapparates des Verfassungsschutzes, der ja aufgrund verschiedener Affären schon seit geraumer Zeit massiv in der Kritik steht.

Dass gegen Journalisten ermittelt wird, ist in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nur äußerst selten vorgekommen. Thomas Stadler hat für den Blog internet-law dargelegt, weshalb auch dieser Fall keine Aussichten auf eine erfolgreiche Klage hat. Vor allem wurde kein Staatsgeheimnis verraten, was Voraussetzung für ein Urteil wäre. Stadler bezweifelt entsprechend auch, dass es überhaupt zu einer Anklage kommt, er sieht eher die Einschüchterung, die die Ermittlungen nach sich ziehen sollten, als ihren wahren Grund an. Allerdings ist für Stadler ebenso fraglich, ob tatsächlich eine Bloggerin oder ein Journalist nun von dem Verfahren abgeschreckt werde, denn die Solidarisierungen im Netz zielten genau in die entgegengesetzte Richtung.

Verschiedene Blogger haben nun ebenfalls die Dokumente veröffentlicht, wie beispielsweise Andreas Moser, der schreibt „Landesverrat – ich bin dabei!“. Moser zitiert die entsprechenden Dokumente am Ende eines polemischen Artikels, der auf die Geschichte des Landesverrats und seiner Gesetzgebung Bezug nimmt. Journalisten Landesverrat vorzuwerfen, das wird deutlich, ist aus historischer Perspektive keine Kleinigkeit.

Wenn es allerdings nahezu ausgeschlossen ist, dass aus dem Verdacht überhaupt eine Anklage, geschweige denn ein Urteil, wird, weshalb dann dieses Verfahren? Markus Kompa äußert auf Telepolis die Vermutung, dass es gar nicht um die Anklage gehe, auch nicht in erster Linie um Abschreckung, sondern um die Daten der Blogger von Netzpolitik.org. Denn, so legt der Anwalt Kompa dar, der Verdacht auf so genannte „Katalogstraftaten“ rechtfertige den Zugriff auf die privaten Daten der Verdächtigten. Zu dieser Liste der schweren Straftaten zählt eben auch der Landesverrat, was im Klartext bedeutet, dass die Behörden nun offenbar einen polizeilichen Lauschangriff durchführen dürften. Kompa führt auf seinem privaten Blog weiter aus, welche Maßnahmen nun gestattet seien: Telekommunikationsüberwachung, Abhören der Wohnung, mobile Überwachung und eine Verkehrsdatenanalyse. Da fehle nur noch die Vorratsdatenspeicherung, so Kompa, für den gläsernen Bürger.

Susannah Winter beleuchtet auf ihrem Blog tonfarbe vor allem die politische Tragweite der gesamten Aktion. Sie führt noch einmal deutlich das Versagen des Verfassungsschutzes vor Augen, der weder in der NSA-Affäre noch bei den NSU-Morden zur Aufklärung wesentlich beitragen konnte. Im Gegenteil fragt Winter, wie es möglich sein könne, wenn es straffrei bleibe, wichtige Akten zu schreddern, nun aber der Fall beim Generalbundesanwalt lande, wenn unliebsame Informationen ans Licht kommen. Es seien hier vor allem politische Interessen im Spiel.

Die Aufregung, die durch das Netz geht, ist in diesem Fall jedenfalls verständlich, auch wenn das Verfahren – und die mediale Aufregung – sicherlich bald wieder zum Erliegen kommen werden. Die Frage, wer wen eigentlich vor welchen Gefahren mit welchen Mitteln schützen darf, sollte nach all den Verfassungsschutz-Affären gründlich diskutiert werden. Die Frage, welche Rolle die Medien als Beobachter der staatlichen Organe ausfüllen, ist ohnehin seit längerem virulent.