In der Pauschalisierungsfalle – Debatte um „den Islam“ reloaded
„Der Islam“ steht mal wieder zur Debatte: und damit sein Verhältnis zu Friedfertigkeit und Gewalt, Toleranz und Intoleranz. „Ist der Islam böse?“ fragt etwa das Magazin „Cicero“ in seiner aktuellen Ausgabe bewusst provozierend und spielt damit auf die radikalislamischen ISIS-Rebellen im Irak und in Syrien oder die Hamas im Gazastreifen an. Auslöser der aktuellen Debatte ist aber ein Kommentar des stellvertretenden Chefredakteurs der „Bild am Sonntag“, Nicolaus Fest, in dem dieser den Islam pauschal als Integrationshindernis bezeichnet. Sich selbst als „religionsfreundlichen Atheisten“ titulierend, störe ihn am Islam so einiges, etwa Zwangsehen, Ehrenmorde, der Umgang mit Frauen und Homosexuellen, die verhältnismäßig hohe Kriminalitätsrate in Deutschland lebender muslimischer Jugendlicher oder die zunehmende antisemitische Pogromstimmung, die sich im Zusammenhang mit pro-palästinensischen Demonstrationen gegen Israels Gaza-Politik manifestiere. Der Kommentar provozierte viel Widerspruch, insbesondere weil er den Islam pauschal herabwürdige. Auch Rassismusvorwürfe wurden gegen Fest vorgebracht. Der Herausgeber der „Bild“-Zeitung, Kai Diekmann, reagierte auf die massive Kritik und distanzierte sich in einem Kommentar allgemein von pauschalisierenden und diskriminierenden Äußerungen gegenüber einer Religion – und dem Islam insbesondere.
Pikant ist die ganze Angelegenheit insbesondere deshalb, weil sich die „Bild“-Zeitung jüngst in einer groß angelegten Kampagne gegen einen neu aufflammenden Antisemitismus mobilisiert hatte. Mats Schönauer findet es auf BILDblog nicht nur irritierend und verlogen, dass gerade die „Bild“-Zeitung nun gegen Diskriminierung und für Toleranz kämpfe, wo sie doch in der Vergangenheit immer wieder gegen Griechen, Sinti und Roma oder Muslime Stimmung gemacht hätte; dass Fest quasi aus dieser Toleranz-Kampagne heraus völlig undifferenziert gegen den Islam feure, sei nicht zu tolerieren. Hass gegen Juden werde verurteilt, der gegen Muslime aber (weiter) geschürt.
Stefan Niggemeier sieht das ganz ähnlich und weist darüber hinaus darauf hin, dass Fest alles andere als ein unbeschriebenes Blatt sei. Schon seit längerem versuche Fest sein Image als kompromissloser Haudrauf zu kultivieren. Mit seinen Wortmeldungen gegen Zuwanderung und Integration habe er immer wieder auch Applaus aus der (ganz) rechten Ecke geerntet. Und obwohl Fest keine Differenzierung zwischen dem Islam als Weltreligion und dem Islamismus als politischer Ideologie mache – womit er sich gegen die von Diekmann vorgegebene offizielle Linie des Axel Springer-Konzerns stelle –, sei sein Posten bei der „Bild am Sonntag“ wohl nicht in Gefahr, so Niggemeier.
Paul Nellen wirft in einem Gastbeitrag auf Die Achse des Guten den vielen Kritikern Fests unhaltbare Pauschalisierungen und Substanzlosigkeit vor. Sie würden längst bekannte empirische Fakten zur Einwanderung ignorieren und wollten dies mit dem Rassismusvorwurf gegen Fest übertünchen. Von Beleidigungen oder Ressentiments gegenüber Einwanderern oder Menschen mit Migrationshintergrund könne bei Fests Kommentar keine Rede sein. Er verkürze und pauschalisiere zwar durchaus aber die vorgebrachten Argumente würden dadurch nicht falsch. So bestehe eben ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen religiöser Einstellung und kriminellem Verhalten bei muslimischen Jugendlichen. Sich mit dieser und anderen Wahrheiten auseinanderzusetzen, so Nellen, sei vielleicht schmerzhaft, aber notwendig.
Auch Thomas Baader möchte auf Die Achse des Guten den Befund des Integrationshindernisses Islam nicht unbesehen ad acta legen. Nicht alle – aber doch verhältnismäßig viele – Muslime seien vorehelichem Geschlechtsverkehr, Homosexualität oder interreligiösen Eheschließungen gegenüber ablehnend eingestellt. Dass der Islam seinem Wesen nach patriarchalisch ist, sei dabei nicht das Problem. Das seien andere Religionen auch. Während jedoch die anderen Religionen sich im Lauf der Zeit gewandelt und geänderten gesellschaftlichen Bedingungen angepasst hätten, hätte dies der Islam zu guten Teilen versäumt. Deswegen sei die Kritik Fests auch legitim: Er kritisiere nicht die Menschen bzw. die Muslime, sondern den Islam als religiöses Gedankengebäude.
Pauschalisierungen auf beiden Seiten also? Mit Sicherheit, denn so funktionieren massenmediale Debatten in der Regel. Es wird verkürzt, zugespitzt und auch polemisiert. Problematisch wird dies immer dann, wenn keine wirkliche Debatte in Gang kommt, weil beide Seiten bei dem gegenseitigen Vorwurf der Pauschalisierung stehenbleiben. Insofern ist bzw. wäre eine wirklich inhaltlich geführte Debatte zu dem Thema zu begrüßen.