Wie umgehen mit Putin? Reaktionen auf Putins ARD-Interview
Wladimir Putin auf fast allen Kanälen. Das ist im Zuge der sich wieder zuspitzenden Ukraine-Krise nichts Ungewöhnliches. Doch der russische Präsident gab der ARD ein rund halbstündiges Interview, stand Rede und Antwort, was so nur höchst selten vorkommt. Im Rahmen des von dem NDR-Journalisten Hubert Seipel geleiteten Gesprächs, legte Putin seine bzw. die russische Sicht auf die Spannungen mit dem Westen und den Ukraine-Konflikt in einem sachlich-ruhigen Tonfall dar. Den vom Westen vehement als völkerrechtswidrig kritisierten Anschluss der Krimhalbinsel an das russische Territorium verteidigte Putin mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und den Fall der vom Westen unterstützten Abspaltung des Kosovo von Serbien. Auf die Frage, ob Russland die Separatisten in der Ostukraine militärisch unterstütze, reagierte Putin ausweichend und stellte fest, dass man es jedenfalls nicht zulassen werde, dass die ukrainische Armee die dortige Bevölkerung „vernichte“. Gegen Ende des Interviews mahnte Putin, dass man gemeinsam eine Lösung für den Ukraine-Konflikt finden müsse. Die guten Beziehungen Russlands zu Deutschland und zu Europa dürften nicht aufs Spiel gesetzt werden. Das Interview war in den sonntäglichen Polit-Talk von Günther Jauch eingebettet. Eine Diskussionsrunde bestehend aus Ursula von der Leyen, Hubert Seipel, Sonia Seymour Mikich und Heinrich August Winkler, diskutierte die Aussagen des russischen Präsidenten.
An dem Journalisten Seipel, der das Interview führte, lässt Roland Tichy auf seinem Blog kein gutes Haar. Viel zu unkritisch sei dieser gewesen, so Tichy. Seipel habe Putin viel zu viel Raum für seine Ausführungen gelassen, habe nur abgenickt und nicht nachgehakt, wo es nötig gewesen wäre; etwa hinsichtlich der militärischen Beteiligung Russlands in der Ostukraine oder der Behauptung Putins, dass dort Menschen von der ukrainischen Armee massakriert würden. Putin habe sich so ohne Mühe als braver und netter Märchenerzähler gerieren können. Tichy erinnert das eher an eine Veranstaltung des DDR-Fernsehens, als an ein journalistisch geführtes Interview. Zu allem Überfluss sei die daran anschließende Talkrunde kaum besser gewesen, weswegen Tichy dem deutschen Fernsehen ein Versagen sondergleichen vorwirft.
Albrecht Müller stört sich auf den NachDenkSeiten weniger an der Interviewführung Seipels, die er insgesamt als „sachverständig“ bezeichnet, als viel mehr an der daran anschließenden Diskussionsrunde um Jauch. Anhand dieser könne man gut ablesen, so Müller, wie linienkonform und angepasst die deutschen Medien gerade ticken würden. Es werde über die Maßen pauschalisiert und Putin als der für die Krise allein Schuldige und Verantwortliche dargestellt. Viele durchaus bedenkenswerte Aspekte des Putin-Interviews seien in der Diskussion einfach übergangen oder leichthin abgekanzelt worden, etwa wie wertvoll die vormals verfolgte Strategie des „Wandels durch Annäherung“ gewesen sei oder die Feststellung Putins, die Eingliederung der Krim sei nicht völkerrechtswidrig gewesen, wofür der russische Präsident die Abspaltung des Kosovos als Präzedenzfall ins Feld führte. All dies würde ignoriert, weil es nicht in das vorgefertigte Gut/Böse-Schema passe.
In eine solche Schwarz-Weiß-Malerei stimmte jüngst auch Angela Merkel ein, die sich während eines Vortrags am Rande des G20-Gipfels in Australien kritisch wie selten zuvor gegenüber Russland äußerte. Russland habe durch seine Annexion der Krim das Völkerrecht missachtet, so Merkel, und stelle durch seine „Einflussnahme zur Destabilisierung der Ostukraine in Donezk und Lugansk“ die europäische Friedensordnung in Frage. In einer an den Vortrag anschließenden Fragerunde bemerkte Merkel, dass es bei all dem nicht nur um die Ukraine gehe, sondern dass auch Moldawien, Georgien, Serbien oder die Westbalkanstaaten in den Strudel der Auseinandersetzung geraten könnten. Deshalb dürfe Europa nicht vor Russland zurückweichen.
Günther Lachmann stellt auf Geolitico fest, dass Merkel mit ihren Äußerungen Moskau den Kalten Krieg erklärt habe. Er fragt sich, warum Merkel das mache, warum sie die Eskalation dermaßen forciere, indem sie Russland offen der Kriegstreiberei beschuldige. Und das, wo Putin in dem ARD-Interview doch so sachlich und nüchtern argumentiert habe und wo gute wirtschaftliche Beziehungen zu Russland doch so wichtig für Deutschland und Europa seien. Lachmann vermutet, dass wohl weniger geostrategische als vielmehr ökonomische Gründe hier die zentrale Rolle spielen würden. Es handle sich um den Versuch, das von Russland beförderte Projekt eines eurasischen Wirtschaftsraums abzublocken, da dieses dem durch TTIP zu erschaffenden transatlantischen Wirtschaftsraum entgegenstehen würde.
Eric Bonse kritisiert auf Lost in EUrope insbesondere, dass Merkel vor einem europäischen „Flächenbrand“ warne, der drohe, wenn man Russland jetzt nicht entschieden Einhalt gebieten würde. Merkel ignoriere mit dieser Warnung einige wichtige Fakten, so Bonse, denn Moldawien, Georgien oder Serbien stünden Russland nun einmal traditionell nahe und das dürfte man auch nicht unterbinden. Putin hier einfach Machtgelüste zu unterstellen sei – trotz der in anderen Belangen durchaus berechtigten Kritik am Vorgehen des russischen Präsidenten – einfach zu billig, insbesondere da sich Deutschland und der Westen während der Balkankriege ebenfalls nicht gerade mit Ruhm bekleckert hätten.
Die Dinge sind wohl deutlich komplizierter, als sie im Moment – von beiden Seiten – dargestellt werden. Einfache Schuldzuschreibungen sind in einer solchen Situation nicht zielführend. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang das zunehmende Unbehagen, das sich gegen eine allzu einseitig gegen Putin gerichtete Berichterstattung Bahn bricht. Ein Bericht der ARD-Tagesschau, der die vermeintliche internationale Isolation Putins zum Thema hat, zeigt Putin beim Mittagessen auf dem G20-Gipfel gerade in dem Moment, wo ein Kellner die ebenfalls am Tisch sitzende brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff verdeckt. Absicht oder Zufall? Als unter anderem Stefan Niggemeier auf diese Szene aufmerksam machte, war die Empörung im Netz jedenfalls so groß, dass sich Kai Gniffke, der Chefredakteur der ARD, zu einer Stellungnahme veranlasst sah. Ob dies zu mehr Sorgfalt und Ausgewogenheit in der Berichterstattung führen wird, wird sich zeigen. Den gesunden Mittelweg zu finden – zwischen einseitigem „Putin-Bashing“ einerseits und bloßem „Putin-Verstehertum“ andererseits – ist offenbar gar nicht so einfach.