Gurlitts Erbe und die Bewältigung der Vergangenheit
Die Kunstsammlung, die Cornelius Gurlitt an verschiedenen Orten versteckt hielt und die erst durch einen Zufall entdeckt wurde, übernimmt nun das Kunstmuseum Bern. Gurlitt, der im Mai 2014 verstarb, hatte in seinem Testament festgelegt, dass die Stiftung des Kunstmuseums die gesamte, riesige Sammlung erben solle. Zunächst zögerten die Verantwortlichen dieses Erbe anzunehmen, nun, nachdem von Seiten der deutschen Regierung einige Sicherheiten übernommen wurden, willigte das Berner Kunstmuseum ein. Problematisch sind die vielen Werke der Sammlung, die der Raubkunst zuzuordnen sind. Wie ist mit ihnen umzugehen? Und wie können die Besitzverhältnisse, die Provenienz, der Werke überhaupt jeweils geklärt werden? Für das Berner Kunstmuseum allein war das Risiko zu groß, sich mit diesen Aufgaben zu übernehmen.
Zunächst gehen deshalb nur die Bilder nach Bern, die von Künstlern aus dem näheren Umfeld Gurlitts stammen, beispielsweise Verwandte oder Freunde des Vaters, Hildebrand Gurlitt. Außerdem die 440 Werke, die einst als „entartete Kunst“ beschlagnahmt wurden, denn diese Werke, vor allem Zeichnungen, befanden sich zurzeit ihrer Beschlagnahmung größtenteils nicht in Privatbesitz, sondern im Besitz der Museen. Ferner kommen Bilder nach Bern, die nach 1945 in den Besitz von Gurlitt übergingen. Das sei zu kurzsichtig, schreibt Tanja Bernsau, in ihrem Blog Returned Masterworks. Allein das Argument, dass ein Kunstwerk nach 1945 von Hildebrand Gurlitt erworben worden sei, reiche nicht aus. Die Frage der Herkunft ist damit keinesfalls geklärt, könnte es ja sein, dass die Bilder zuvor ohne Gurlitts Wissen geraubt worden seien. Gleichwohl sei die Entscheidung, die Bilder bald zu zeigen, begrüßenswert, denn das ermögliche es den Erben der Vorbesitzer überhaupt erst, verlorene Werke wieder aufzuspüren.
Für das Kunstmuseum Bern sei dieses Erbe eine gewaltige Aufgabe, so Bernsau. Vor allem werde das Museum dadurch in den Medien große Aufmerksamkeit erfahren, was sich auch durch ansteigende Besucherzahlen zeigen sollte, sobald die Werke aus dem Erbe Gurlitts gezeigt werden.
Sophie-Charlotte Lenski setzt auf dem Verfassungsblog bei den juristischen Fragen an, die der Fall Gurlitt aufwerfe. Sie durchleuchtet die gesamten Übereinkünfte, die zwischen Gurlitt und dem Bund bzw. dem Freistaat Bayern getroffen wurden. Die Übereinkünfte sicherten eine Erforschung der Provenienz und sorgten dafür, dass die Bilder zunächst beim Staat verblieben. Diese Übereinkünfte seien genaugenommen nichtig gewesen.
Hinter den komplizierten juristischen Fachfragen scheint ein grundlegendes Problem auf: Die Bundesrepublik Deutschland hat es in all den Jahren versäumt, rechtliche Grundlagen zu schaffen, die die Eigentumsverhältnisse geraubter Kunst eindeutig klären. Die geltenden Gesetze, die einst die alliierten Mächte in Deutschland einführten, hätten in der alten Bundesrepublik unverändert weiter Bestand gehabt, so Lenski. Auf eine eigene Gesetzgebung konnte man sich nicht einigen. Problematisch seien nach wie vor die zu kurzen Ausschlussfristen, die oft eine Rückerstattung erschweren. Eine Diskussion wäre nötig, die sich nicht allein der NS-Geschichte noch einmal zuwendet im Hinblick auf die geraubten Kunstschätze, sondern zugleich der Nachkriegsgeschichte, in der eben Fehler begangen wurden, die noch immer eine schwierige, unsichere Gesetzeslage nach sich ziehen.
Über einen viel unbedeutenderen, gleichwohl persönlichen Fall berichtet Axel Lapp, der die Kunsthalle in Memmingen leitet. An der Begebenheit, die er erzählt, lässt sich das oben skizzierte Dilemma leicht nachvollziehen: Ein Besucher brachte ein Kunstwerk mit, das er gerne geschätzt hätte. Lapp konnte dazu wenig sagen, er kannte den Künstler nicht. Das Bild war neu gerahmt, wie der Besucher erzählte, denn schließlich sei es damals aus dem Rahmen herausgeschnitten worden. Das Bild stammte aus einem Haus in Belgien, und der Onkel habe es aus dem Krieg mitgebracht. Raubkunst also, wenngleich in einem kleinen Maßstab.
Es sei leicht, den Vater, Hildebrand Gurlitt, zu verteufeln, und den Sohn, Cornelius Gutlitt, moralisch zu verurteilen, aber genau diese Geschichte, der Raub und das Erbe, habe sich immer wieder abgespielt. Und die moralischen und juristischen Fragen sind keineswegs geklärt.