Bleibt da was? Max Webers 150. Geburtstag
Max Weber ist ein geeigneter Protagonist für wissenschaftliche Biographien. Bereits 2011 wurde Joachim Radkaus Weber-Biographie sehr einhellig gefeiert – eine große wissenschaftliche Biographie. Nun haben, pünktlich zum 150. Geburtstag, der Soziologe Dirk Kaesler und Jürgen Kaube von der FAZ ebenfalls Weber-Biographien veröffentlicht. Und erneut finden sich – von Ausnahmen abgesehen – überwiegend lobende Besprechungen. Dabei ist Weber kein Marx – mit dem jeder etwas verbindet, der sofort Emotionen weckt. Und es ist gar nicht so leicht zu sagen, wofür Weber denn steht. Wo ragt er denn herein in unsere Zeit? Was ist geblieben von seinen Impulsen, welche Texte sind noch heute ‚aktuell‘?
Auf dem Blog des The International Literary Quaterly ist eine kleine Würdigung erschienen. Darin wird Weber vorsichtig als ein Gründervater der Soziologie bezeichnet. Oder besser gesagt: dort heißt es, er werde oft als solcher bezeichnet. Jedenfalls gehört er zu den Anfängen einer wissenschaftlichen Soziologie. Und wiederum vorsichtig wird sein bekanntestes Werk genannt Die protestantische Ethik und der Geist der Kapitalismus.
Zu diesem Buch ist auf dem Blog Clockwards eine kleine Auseinandersetzung erschienen, die eben danach fragt, was denn davon bleibt – wenn es nicht allein eine weitere Erklärung sein soll, wie der Kapitalismus sich in der Geschichte durchsetzen konnte. Also die Frage, ob diese Geschichte, die Weber erzählt, noch Relevanz hat, ob unsere Gesellschaft damit tatsächlich besser zu verstehen sei. Als Kernthese des Buches ist auf dem Blog Clockwards ein moralischer Imperativ identifiziert: Du sollst arbeiten und Geld verdienen! Wer arbeitet und Geld verdient, lebe moralisch angemessen, wer das nicht tut, eben nicht. Wohlstand zu erreichen, werde zur Pflicht des Menschen. Die protestantische Ethik habe diesen ‚kapitalistischen Geist‘ befördert.
Und Auswirkungen sind, so ist es auf Clockwards zu lesen, noch immer spürbar. Wer arbeitslos ist und arm wird, der ist selbst „schuld“. Die Kategorien der „Schuld“, des „Guten“ und „Schlechten“ werden noch immer sprachlich – und gedanklich – mit dem Wohlstand verknüpft. Die fleißige „middle class“ sei das ethische Ideal. Und mit Weber werde dieses protestantische Erbe sichtbar. Die eigenen Sprach- und Denkgewohnheiten, wenn es zum Beispiel um das „Verschwenden von Zeit“ gehe, werden auf diesen einen Grund zurückgeführt. – Das wäre immerhin etwas.
Bersarin allerdings schreibt auf seinem Blog Aisthesis eine Würdigung über Max Weber, in der er das Buch über die protestantische Ethik eine Fußnote zu Marx nennt. Ein Hauptwerk möchte Bersarin denn auch nicht ausmachen, doch thematisch bearbeite Weber immer wieder die Probleme der Moderne: der Kapitalismus, der Rationalismus, die „Entzauberung der Welt“. Wieso haben sich ausgerechnet diese Strukturen durchgesetzt? Weber habe darauf keine allgemeine Antwort gehabt, sondern diese Probleme immer wieder umkreist. Damit wäre er eher ein Fragesteller, weniger ein Mann der klaren Antworten. Bersarin interessiert sich folgerichtig vor allem für Webers wissenschaftliches Vorgehen. Wie ordnete er ein Problemfeld? – Wäre Weber also inhaltlich längst überholt?
Tosca Hall zitiert eine eindrucksvolle Stelle aus Webers „Wissenschaft als Beruf“. Wissenschaftlich überholt zu werden, sei nicht das „Schicksal“ des Wissenschaftlers, sondern sein eigentlicher Zweck. Wissenschaft komme allein dadurch voran, dass alte Thesen eben revidiert oder modifiziert werden. Gerhard Bliersbach versucht am Begriff des Charismas zu zeigen, inwieweit hier Max Weber überholt sei. Webers Idealtypen, wenn er die Herrschaftsstrukturen anhand des „Führers“ und „Jüngers“ beschreibt, blenden die gesamte Dynamik eines solchen Prozesses aus. Wer beispielsweise mit diesen Begriffen an eine konkrete historische Figur, wie Adolf Hitler, herangehe, der übersehe die Dynamik des Prozesses, in dem sich Charisma herausbilden, bestätigen, erhalten könne. Charisma sei eben nicht die „Fähigkeit eines Einzelnen“, sondern werde im interaktiven Prozess hergestellt.
Das wäre demnach ein Beispiel, wo Weber längst überholt sei. Jedoch wendet Tosca Hall dieses Zitat gar nicht gegen Weber selbst, sondern gegen die Wissenschaft – und die Medien – heute. Weber mache den Blick darauf frei, wie wichtig das konstruktive wissenschaftliche Gespräch sei. Widerspruch in der Sache ist vonnöten, genau das bringe einen Diskurs von der Stelle. Dagegen kann Tosca Hall natürlich leicht die letzten medialen Skandale setzen, in denen die „Sache“ unterging. Aber sie erzählt auch die Geschichte eines „Cambridge Companions“, das so konzipiert wurde, dass es einen „Blitzableiter“ gab. Das heißt, ein Beitrag war so gewählt, dass von vorneherein klar war, dass dieser den heftigsten Widerspruch aller anderen Beiträger erregen würde: Die Erregung sticht das wissenschaftliche Gespräch aus.
Also, Max Weber, bleibt da was? Vielleicht, von dieser Warte aus gesehen, mehr als Weber lieb gewesen wäre.