Finnland, Jaron Lanier und Helmut Kohl: Die Frankfurter Buchmesse 2014
Heribert Schwans und Tilman Jensʼ „Vermächtnis“, in dem die so genannten Kohl-Protokolle verarbeitet sind, wird gerade zu einem Bestseller. Schwan arbeitete als Helmut Kohls Ghostwriter für dessen Memoiren. Als Schwan der Vertrag aufgekündigt wurde, entschied er sich, sein „Herrschaftswissen“ zu gebrauchen und ein Buch unter eigenem Namen zu verfassen, in das er Teile aus den langen Gesprächen, die er mit Kohl führte, als wörtliche Zitate einfließen lässt – ohne Kohls Einwilligung, sogar gegen seinen ausdrücklichen Willen. Die bissigsten Passagen wurden von verschiedenen Medien längst in ganz unterschiedlicher Absicht wieder zitiert, sei es, um Kohl in ein schlechtes Licht zu rücken, sei es, um Schwans illoyales Verhalten herauszustellen. Und derzeit scheint das alles als beste Werbung für Schwans Buch zu funktionieren.
Auf der Frankfurter Buchmesse war nun Helmut Kohl am Stand von Droemer, der Kohls Erinnerungsbücher herausgibt. Ein öffentlicher Auftritt des vor einigen Jahren erkrankten Alt-Kanzlers wird stets zu einem kleinen Medienereignis, worüber Andrea Diener in einem Blog der FAZ schreibt. Sie beschreibt ein geradezu skurriles Ereignis, dessen Sinn für alle Beteiligten offenbar darin bestand, ein Foto zu bekommen. Was Kohl sagte, sei kaum zu verstehen gewesen, „Deutschland“ und „Europa“ konnte sie vernehmen. Kaum mehr. Es sei der Besuch eines „Denkmals“ auf der Buchmesse, schreibt Diener. Die Aufmerksamkeit, die Kohl erregt, scheint nun ausgerechnet Schwans Buch zu nutzen.
Wie Aufmerksamkeit zu gewinnen sei, war jedenfalls ein heißes Thema, auch auf der Buchmesse. Alva Gehrmann schreibt in einem offiziellen Blog der Frankfurter Buchmesse über eine Veranstaltung, die sich dieser und ähnlichen Fragen widmete: Welches sind die Themen, die nicht nur eine kurze Lebensspanne im Netz haben, sondern aus denen lesenswerte Bücher werden? Wie gelingt das Timing, wenn die Themen im den sozialen Netzwerken längst diskutiert worden sind? Das Problem sei die Zeit, die immer knapper werde, in dieser Hinsicht konkurrieren die ganz unterschiedlichen Medien miteinander.
Ein Problem, das für die Bloggerinnen und Blogger, die die Frankfurter Buchmesse besuchten, direkt erfahrbar wurde: Wie ist die Messe an zwei, drei Tagen überhaupt zu bewältigen? Worauf die Aufmerksamkeit richten? Auf literaturen ist der Besuch der Buchmesse als ein „Gleiten“ beschrieben, ein Fließen innerhalb der Menschenmenge. Es sind auf dem Blog kunstvoll arrangierte Fotos zu sehen und kurze Eindrücke zu lesen, da erscheint Herta Müller beispielsweise.
Am Sonntag richtete sich alle Aufmerksamkeit auf die Paulskirche in Frankfurt: Schon lange war bekannt, dass Jaron Lanier den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten würde. Einen scharfen Kommentar hat Burkhard Müller-Ullrich für die Achse des Guten verfasst. Er sagt, der Friedenspreis für Lanier sei ein großes Missverständnis. Das deutsche Feuilleton zimmere sich einen amerikanischen Kritiker der großen amerikanischen Internet-Konzerne zurecht. Laniers Erkenntnisse seien dabei vollkommen banal, in der Art, dass Menschen doch etwas anderes seien als Algorithmen.
Ausführlich setzt sich der Informatiker Bertal Dresen mit den Thesen Laniers auseinander. Er bespricht anlässlich der großen Auszeichnung für Lanier dessen letztes Buch „Wem gehört die Zukunft“. Das Problem, das Lanier dort beschreibt, bestehe darin, womit die Kreativen ihr Geld verdienen sollen in der digitalen Welt. Die Informationstechnik habe die Geschäftsmodelle für Kreative radikal verändert, doch darum hätten sich die Informatiker überhaupt nicht gekümmert. Dresen stimmt Lanier zu, wenn er sagt, der Begriff „Information“ sei irreführend. Besser sei es von Beobachtungen, Wissen, Melodien etc. zu sprechen, denn damit bleibe erkennbar, dass es einen Urheber gibt. Wenn alles zur Information werde, verschwinde offenbar der Urheber. Dresen ist allerdings nicht mit Laniers Abwehrhaltung einverstanden, denn es wird keinen Neustart geben. Nun sei es wichtiger, neue Lösungen zu entwickeln, statt den verlorenen Geschäftsfeldern nachzutrauern.
Der digitale Wandel mit seinen Problemen für zahlreiche alte Branchen, der Skandal, um die Kohl-Zitate, die Schwan unautorisiert abdruckte – da erscheint das Gastland der Frankfurter Buchmesse, Finnland, wie ein Urlaubsversprechen. Die finnland-verrückte Gudrun Söffker schreibt in einem offiziellen Blog der Buchmesse über das Gastland. Einmalig sei das Ereignis, in Deutschland die finnischen Autoren so erleben zu dürfen. Söffker nennt sich selbst eine „Außerfinnische“, was am Ende der Frankfurter Buchmesse geradezu wehmütig klingt.