Ferguson und der alltägliche und institutionelle Rassismus (nicht nur) in den USA

"Ferguson" von Pirapakar Kathirgamalingam.

“Ferguson” von Pirapakar Kathirgamalingam.

Im August 2014 erschoss der weiße Polizist Darren Wilson den unbewaffneten schwarzen Jugendlichen Michael Brown in der US-amerikanischen Stadt Ferguson. Wurde der Polizist von dem Teenager massiv bedroht, handelte also aus Selbstschutz, wie er selbst behauptete? Oder lagen der Konfrontation rassistische Vorurteile von Seiten Wilsons zugrunde, wie die Angehörigen Browns und viele andere glauben? Hatte Brown die Hände erhoben, als er erschossen wurde? Die unklaren Umstände des Tathergangs sowie die schleppende Aufklärungsarbeit der staatlichen Behörden führten schnell zu Protesten von großen Teilen der schwarzen Bevölkerung Fergusons. Dabei kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und zu Plünderungen. Die Geschehnisse lösten erneut heftige Debatten über den immer noch weithin grassierenden Alltagsrassismus und institutionellen Rassismus in den USA aus. Bei dem Vorfall in Ferguson handelte es sich nicht um einen Einzelfall: Immer wieder kommt es in den USA zu solchen oder ähnlich gelagerten Todesfällen durch Polizeigewalt gegen Schwarze.
Nach monatelangen Beratungen entschied nun ein Geschworenengericht, die aus Laien bestehende Grand Jury, dass sich Wilson für die tödlichen Schüsse nicht vor Gericht verantworten muss. Es lägen nicht genügend Beweise für ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Polizisten vor, so die Jury, die mehrheitlich aus weißen Geschworenen bestand. In den USA ist die Anwendung tödlicher Gewalt durch Polizisten erlaubt, wenn diese sich in ihrem Leben bedroht fühlen. Die Entscheidung sorgte für viel Empörung und Wut, landesweit formierten sich Demonstrationen, in Ferguson kam es erneut zu schweren Ausschreitungen. Der Protest, der sich jetzt in beinahe 200 amerikanischen Städten Bahn bricht, richtet sich gegen die Benachteiligung, Diskriminierung und Stigmatisierung aufgrund der Hautfarbe sowie gegen das sogenannte „racial profiling“ der Polizei, die die Menschen mit dunkler Hautfarbe wesentlich öfter und schärfer kontrolliert als solche mit heller Hautfarbe.

Warum kommt es in den USA immer wieder zu solchen Vorfällen wie in Ferguson?
Peter Bloom schreibt auf The Conversation, dass dies viel mit gesellschaftlich tief verankerten stereotypen Darstellungen und Wahrnehmungsweisen von Afroamerikanern zu tun habe. Diese wurden und werden immer wieder als bedrohlich repräsentiert, vor dem amerikanischen Bürgerkrieg etwa als zu zähmende Wilde oder heute als gefährliche und gewaltbereite Kriminelle. Und solche Stereotypisierungen wirken – auch bei Polizisten. Es sei angesichts dieser tiefsitzenden Stereotype leider nicht überraschend, so Bloom, dass Polizisten sich viel eher bedroht fühlen, wenn sie es mit Schwarzen zu tun haben und dass sie in der Konsequenz aggressiver mit diesen umgehen bzw. schnell zu aggressiven Methoden greifen. So auch bei den Protesten im Nachgang der Erschießung Browns, wo die Polizei sehr martialisch auf die demonstrierenden Menschen – die mehrheitlich Schwarze waren – reagierte. Diesem sich selbst befeuernden Kreislauf der Gewalt könne nur Einhalt geboten werden, so Bloom, wenn das Stereotyp vom gefährlichen und gewaltbereiten Schwarzen endlich ad acta gelegt würde.

Mit stereotypen Darstellungen und Zuschreibungen beschäftigt sich auch Sharon Dodua Otoo auf Mädchenmannschaft. Mit bitter-sarkastischem Unterton stellt sie fest, dass Schwarzen ganz offensichtlich schnell „schwarze teuflische Superkräfte“ angedichtet werden, wenn sie in Gesellschaften mit weißen Mehrheiten vergessen würden ständig zu lächeln. Dann könnte man selbst als kleiner Junge, der mit einer Spielzeugpistole auf dem Spielplatz hantiere, für einen potenziellen Mörder gehalten werden. Und einem schwarzen Teenager werde anscheinend ohne Weiteres zugetraut, dass er alle Menschen im näheren Umkreis mit bloßen – und erhobenen! – Händen töten könne. Das gelte beileibe nicht nur für die USA. Otoo findet, mit all dem müsse endlich Schluss sein und ruft dazu auf, sich gegen diese fatalen Verhältnisse zu erheben.

Aber welche Reaktion ist angemessen bzw. legitim? Auf Feynsinn wird die Frage gestellt, ob die derzeit in den USA aufflammende Gewalt der mehrheitlich schwarzen Demonstranten nicht verständlich und sogar gerechtfertigt sei, angesichts des Versagens des amerikanischen Rechtssystems und der Brutalität der Polizei. Was solle man denn tun, wenn Rechtsbrüche und Verbrechen von Staatsbediensteten vom Staat vertuscht oder gedeckt werden? Eine schwierige Frage.

Wenn man sich einmal die Ausmaße der generellen Ungleichheit vor Augen führt, die in den USA zwischen Weißen und Schwarzen vorherrscht – so wie Juan Cole dies aus gegebenem Anlass auf Informed Comment tut –, ist es eigentlich wenig verwunderlich, dass sich die Demonstrationen in den USA im Moment so rasant ausweiten. Ganz unabhängig vom Bildungsgrad, ist etwa die Arbeitslosenquote unter Schwarzen um ein Vielfaches höher als bei Weißen. Weit überproportional ist auch der Anteil an Tuberkulose-Fällen bei Afroamerikanern. Cole nennt noch beunruhigendere Zahlen: Der Mord an weißen Amerikanern wird weit häufiger mit der Todesstrafe belegt, als der Mord an einem Schwarzen, zudem ist es für einen des Mordes überführten Afroamerikaner um 38% wahrscheinlicher, dass er zum Tode verurteilt wird.

Wie kann man diese tiefe Kluft verkleinern – wenn schon nicht ganz schließen? Das Thema der Ungleichheit und des Rassismus ist nun wieder ganz oben auf der US-amerikanischen Tagesordnung angekommen und kann nicht einfach ignoriert werden. Dafür ist die Empörung zu groß und die Dimensionen zu gewaltig. Doch wo kann man konstruktiv ansetzen, wo kann man etwas ändern? In den Köpfen der Menschen? In den Institutionen, die schon so oft versagt haben? Das sind schwierige Fragen, deren Beantwortung nicht nur für die USA von essentieller Bedeutung ist.