Streit um das Urheberrecht: Das BGH-Urteil zu den Leseplätzen in Bibliotheken
Ein Rechtsstreit um Leseplätze in der Bibliothek der Technischen Universität Darmstadt wurde nun beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschieden. Was aussieht wie eine Kleinigkeit, der Streit um ein paar Leseplätze in der Universitätsbibliothek, könnte weitreichende Folgen haben.
An den Leseplätzen in der Universitätsbibliothek stellte die TU Darmstadt Lehrbücher für die Studentinnen und Studenten bereit, darunter auch ein Werk des Eugen-Ulmer-Verlags, der seine Rechte verletzt sah. Denn die Bibliothek hatte die Bücher selbst gescannt, statt Online-Lizenzen des Verlags zu erwerben. Außerdem war es möglich, die Texte an diesen Leseplätzen auszudrucken oder auf einem USB-Stick abzuspeichern. Die TU Darmstadt wollte mit diesem Service den Studierenden entgegenkommen, die oftmals Probleme haben, wichtige Lehrbücher in der Bibliothek einzusehen, weil alle Exemplare verliehen sind. Der Eugen-Ulmer-Verlag dagegen sah durch diese Leseplätze das Urheberrecht verletzt und klagte. Der BGH entschied nun, die Bibliotheken müssten nicht die Online-Lizenzen der Verlage erwerben, sondern könnten ebenso gut, die Bücher selbst digitalisieren. Das Vertragsangebot sei eben kein Vertrag und deshalb wurde auch nicht dagegen verstoßen. Ferner seien die Bibliotheken nicht dafür verantwortlich, dass die Nutzer ihrer Angebote sich an das Urheberrecht hielten. Die Leseplätze seien für private Zwecke eingerichtet, wenn Nutzer dagegen verstießen, hafte nicht die Bibliothek.
Der Rechtsanwalt Ralf Petring, der den gesamten Verlauf der Klage nachvollzieht, die zunächst beim Landgericht in Frankfurt am Main lag, dann in Luxemburg beim Europäischen Gerichtshof und schließlich beim Bundesgerichtshof, urteilt, es sei gut so. Für die Nutzer der Bibliotheken ergibt sich aus diesem Urteil selbstverständlich ein Gewinn. Zeit und Geld lassen sich sparen, wenn man auf solche digitalen Angebote der Bibliotheken zurückgreifen kann.
Auf irights info wird in diesem Sinne der Vorsitzende des Bibliotheksverbands zitiert, der sagte, die Gerichte verstünden, welches die Aufgaben der Bibliotheken heutzutage seien. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels dagegen, kritisiert das Urteil scharf. Von einem schwarzen Tag ist die Rede, denn langfristig werde dies die Qualität der Lehrbücher beeinflussen, die sich für die Verlage eben nicht mehr lohnten, wenn diese in Universitätsbibliotheken kostenlos zur Verfügung stünden.
Der BGH hatte auf der Grundlage von § 52a und § 52b UrhG entschieden. Thomas Hoeren, Professor an der Universität Münster, schreibt für den beck-blog spöttisch, Dieter Gorny, der Beauftragte für kreative und digitale Ökonomie, solle den Paragraphen einfach zugunsten der Verleger umschreiben. Hoeren hält die Kritik des Börsenvereins für maßlos übertrieben. Er sieht den komplexen Sachverhalt im Gegenteil nun zugunsten der Forschung und Lehre entschieden – also kein schwarzer Tag.
André Niedostadek, Professor der Hochschule Harz, erkennt dagegen eine sehr folgenreiche Entscheidung, die die Verlage und Autoren in ihren wirtschaftlichen Interessen berühre. Er übertitelt seinen Text provokant mit „Die Bibliothek als Gratis-eBook-Handlung“. Andererseits hebt auch er den Gewinn für die Studierenden hervor.
Wenn die Wissenschaftsverlage ihr Geld nicht mehr von den Käufern, also den Bibliotheken und Studierenden, bekommen, so könnten sie es vermehrt von den Autoren verlangen. Martin Ballaschk hatte kürzlich in den SciLogs über einen Fall geschrieben, bei dem der Verlag Elsevier für Artikel, die eigentlich frei zugänglich sein sollten (Open Access), Geld von den Bibliotheken verlangt hatte. Dabei werden gerade Open-Access-Artikel zunehmend zu einer Geldquelle für die Verlage, denn für die Verbreitung der Artikel durch die Fachzeitschriften bezahlen die Autoren teilweise große Summen.
Wie das aktuelle Urteil die Verbreitung des Wissens verändert, ist nicht ausgemacht, es könnte jedenfalls massive Folgen haben – für Verlage, Bibliotheken, wissenschaftliche Autoren und die Studierenden. Derzeit prüfen der Eugen-Ulmer-Verlag und der Börsenverein des deutschen Buchhandels noch, ob sie eine Klage beim Verfassungsgericht einreichen. Der Fall könnte also eine weitere juristische Runde drehen, bis er geklärt ist.