Noch mehr Freihandel wagen? Für und Wider TTIP
TTIP, die Abkürzung für das geplante transatlantische Freihandelsabkommen („Transatlantic Trade and Investment Partnership“) zwischen den USA und der EU, ist den meisten politisch Interessierten inzwischen geläufig. Das war nicht unbedingt zu erwarten, handelt es sich doch um ein eher sperriges und schwer zu durchschauendes Thema. Die Verhandlungen über das Abkommen finden hinter verschlossenen Türen statt. Doch das Thema ist äußerst wichtig und hat weitreichende Konsequenzen. Durch den weiteren Abbau von Zöllen, Handelshemmnissen und die Vereinheitlichung bzw. Harmonisierung verschiedener – etwa technischer – Standards und Vorschriften, soll der größte Freihandelsraum der Welt entstehen. Wenn nicht mehr auf die Einhaltung je unterschiedlicher Standards – etwa bei Gerätebauteilen, die bisher doppelt geprüft werden müssen – geachtet werden müsse, so wird argumentiert, dann könnten Waren und Dienstleistungen besser zwischen den USA und der EU zirkulieren. Dies könnte, so sagen die TTIP-Befürworter, niedrigere Preise für die Produzenten und Verbraucher dies- und jenseits des Atlantiks sowie hunderttausende, wenn nicht Millionen neuer Arbeitsplätze bringen. Kritiker warnen hingegen vor möglichen negativen Konsequenzen: Das Abkommen führe möglicherweise auch zur unerwünschten Absenkung demokratischer, ökologischer und sicherheitstechnischer Standards. Symbol hierfür ist das amerikanische Chlorhühnchen, das den europäischen Markt zu überschwemmen drohe.
Michael Grosse-Brömer, Mitglied des deutschen Bundestags und Geschäftsführer der Unionsfraktion, betont auf blogfraktion.de die vielen Vorteile, die das Freihandelsabkommen sowohl Deutschland als auch Europa bringen würde. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen würden profitieren, wenn sich deren Ausfuhrkosten infolge der Harmonisierung von gesetzlichen Vorschriften signifikant verringern ließen. Dies könnte bis zu 500 Millionen neue Arbeitsplätze bringen. Die Einwände von TTIP-Kritikern, laut denen europäische Rechte durch das Abkommen unverhältnismäßig geschleift werden könnten, sieht Grosse-Brömer skeptisch. Man solle doch viel eher das Freihandelsabkommen dazu nutzen, die guten europäischen bzw. westlichen Standards global durchzusetzen. Dies ginge mit den USA doch sicherlich am einfachsten, so Grosse-Brömer. Nun komme es darauf an, gut zu verhandeln und die Vorteile des Abkommens in den Vordergrund zu stellen anstatt immer auf dem Chlorhühnchen herumzureiten.
Auch Andreas Freytag wendet sich auf dem INSM-ÖkonomenBlog gegen die Argumente der TTIP-Gegner: Sowohl linke als auch rechte Kritiker hingen der irrigen Annahme an, dass sich die Wirtschaft durch Abschottung stärken lasse. Doch nur internationaler Wettbewerb führe zu Innovation und Innovation wiederum zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Deswegen bräuchte man TTIP. Und nicht nur das: Laut Freytag bräuchte man auch noch weitere Abkommen mit anderen Wirtschaftsräumen, um sich noch weitere Märkte erschließen zu können. Von den linken und rechten Globalisierungskritikern und Freihandelsgegnern dürfe man sich jedenfalls auch (und gerade) nach deren Erstarken bei den Europawahlen nicht in die Knie zwingen lassen, so Freytag. Vielmehr gelte es entschlossen für mehr Freihandel einzutreten.
Frank Lübberding wundert sich auf Carta darüber, dass die TTIP-Befürworter gerade so tun würden, als wenn es noch keinen weltweiten Freihandel gebe und das man diesen überhaupt erst in Gang bringen müsste. Doch der globale Freihandel sei doch schon lange Realität – auch wenn es sicherlich noch punktuell Hemmnisse gebe. Für deren Abbau bräuchte man jedenfalls kein Freihandelsabkommen, denn dafür gebe es schon längst handelspolitische Routinen. Lübberding vermutet vielmehr, dass es bei TTIP darum gehe, die Politik an die Leine wirtschaftlicher Interessen zu legen. Die Politik sei lästig und störe beim Freihandel und solle letztlich aus dem Weg geräumt oder zumindest stillgestellt werden.
In eine ähnliche Richtung argumentiert Christoph Butterwegge auf den NachDenkSeiten. Er sieht in TTIP (und CETA, dem derzeit ebenfalls verhandelten kanadisch-europäischen TTIP-Pendant) einen Angriff auf das europäische Sozial(staats)modell. Das Freihandelsabkommen sei zentraler Bestandteil eines groß angelegten neoliberalen Versuchs, der darin bestünde, alle gesellschaftlichen Teilbereiche gemäß den Regeln des Marktes umzugestalten. Insbesondere transnationale Unternehmen und Konzerne trieben dieses neoliberale Projekt vehement voran, so Butterwege. Im Mittelpunkt stünden dabei nicht das Gemeinwohl und die Steigerung des allgemeinen Wohlstands, sondern das finanzielle Eigeninteresse und die Profitmaximierung der Konzerne. Wo sich auf der einen Seite der Reichtum der kapitalistisch-neoliberalen Klasse vergrößere, nehme die Armut auf der anderen Seite weiter zu. Die soziale Ungleichheit würde so im globalen Maßstab vergrößert.
Auf einen brisanten Teilaspekt der derzeitigen TTIP-Verhandlungen weist Patrick Schreiner auf annotazioni.de hin: Zwar werde von TTIP-Befürwortern immer wieder betont, dass es nicht darum ginge, Sicherheits- oder Regulierungsstandards auf ein möglichst niedriges Niveau abzusenken, doch im Bereich der Finanzmarktregulierung sei nun genau dies zu beobachten. Anhand von geleakten Dokumenten ließe sich nachverfolgen, wie von der Bankenlobby der Versuch unternommen werde, die Deregulierung des Finanzmarktes weiter voranzutreiben und wie die EU-Kommission dafür zugänglich sei. Gerade in Zeiten einer noch lange nicht überwundenen Finanzkrise, die maßgeblich durch ein Regulierungsdefizit im Finanzmarktsektor verursacht und begünstigt worden sei, mute dies doch mehr als verwunderlich an, so Schreiner.
Dass über TTIP unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird, ist sicherlich kein gutes Zeichen. Dass sich inzwischen eine breit geführte Debatte über das Für und Wider von (noch) mehr Freihandel herausgebildet hat, macht aber dennoch Mut. Freihandel und internationale Arbeitsteilung sind nicht per se gut oder schlecht, es kommt darauf an, wie man diese ausgestaltet und gesellschaftlich bzw. demokratisch rückbindet. Darüber gilt es weiter zu diskutieren.