Deutsche Bahn et al. versus GDL – Was steht bei dem Bahnstreik auf dem Spiel?
Die Mehrzahl der Züge steht derzeit streikbedingt still. Schon wieder, wie man sagen muss, denn in den letzten Monaten war es bereits mehrmals zu Streiks gekommen. Rund 3000 Mitglieder der verhältnismäßig kleinen „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ (GDL) legen in dieser Woche für insgesamt sechs Tage ihre Arbeit nieder und damit zugleich weite Teile des Bahnverkehrs in Deutschland lahm. So lange wurde in dieser Branche noch nie gestreikt. Mit diesem Mittel versucht die GDL den Druck auf die Deutsche Bahn zu erhöhen, von der sie sich ungerecht behandelt fühlt. Die GDL fordert eine Beschränkung der Überstunden, Lohnerhöhungen, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine Senkung der Wochenarbeitszeit. Sie will zudem, dass dies nicht nur für die Lokführer, sondern für das gesamte Bahnpersonal gilt, das sie jedoch nicht mehrheitlich vertritt.
Das Vorgehen der GDL gefällt weder der Deutschen Bahn noch der mitgliederstärkeren, in ihrem Ton und in ihren Forderungen jedoch moderateren, „Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft“ (EVG). Beide werfen der GDL vor, dass es ihr nicht vorrangig um das Wohlergehen des Bahnpersonals, sondern um den eigenen Machtzuwachs gehe.
Die Deutsche Bahn fordert einen Abbruch des aktuellen GDL-Streiks und die Initiierung eines Schlichtungsverfahrens. Aus der Politik – insbesondere aus den Reihen der CDU/CSU – wurden zuletzt Forderungen nach einer Zwangsschlichtung laut. Es könne ja nicht angehen, so wurde argumentiert, dass der Streit zweier Gewerkschaften das ganze Land lahmlege und der deutschen Wirtschaft dadurch schweren Schaden zufüge. In diesem Zusammenhang soll im Sommer ein Tarifeinheitsgesetz beschlossen werden, das es kleineren Gewerkschaften mehr oder weniger unmöglich machen würde, sich im Falle eines Tarifkonflikts gegen eine größere Gewerkschaft der gleichen Sparte durchzusetzen.
Wer ist Schuld an der derzeitigen Eskalation der Auseinandersetzung? In den meisten öffentlichen Stellungnahmen und in den Medien wird alleine die GDL für den Rekord-Bahnstreik verantwortlich gemacht. Zugleich wird ihr viel Unverständnis und Empörung entgegengebracht. Von „kollektiver Geiselhaft“, „Terror“ und „Wahnsinn“ ist die Rede, wenn über das Agieren der Gewerkschaft gesprochen wird. Insbesondere in der Boulevardpresse hat man sich zudem auf GDL-Chef Claus Weselsky eingeschossen, der als selbstherrlich, arrogant und machtgierig dargestellt wird.
Jens Berger will da nicht mitmachen. Auf den NachDenkSeiten stellt er fest, dass nicht Weselsky für die derzeitige Situation verantwortlich sei, sondern die Deutsche Bahn und die Bundesregierung. Beide zusammen hätten die Zuspitzung provoziert. Der Deutschen Bahn spiele der Streik in die Karten, so könne sie gut auf Zeit spielen, bis das Tarifeinheitsgesetz in Kraft tritt, das die GDL ihrer (arbeitskämpferischen) Möglichkeiten und Mittel berauben würde. Der Bundesregierung – dem deutschen Staat gehören 100% der Deutschen Bahn AG – habe nichts an einer Deeskalation gelegen, was den Schluss nahelege, dass sie den Streik wolle. Sie könne sogar die öffentliche Empörung über die GDL für sich nutzen. Die GDL ist laut Berger also förmlich in den Streik getrieben worden, da ihr nur noch wenig Zeit bis zum Sommer bleibe. Wenn sich die Deutsche Bahn nun nicht auf die GDL zubewege, sei deswegen auch davon auszugehen, dass die Gewerkschaft ihren Arbeitskampf in nächster Zeit noch verstärken wird.
Im Lower Class Magazine ist Peter Schaber über die Stimmungsmache gegen die GDL empört und ruft dazu auf, sich solidarisch mit ihr zu erklären. Es sei doch offensichtlich, dass die Deutsche Bahn keine Eile habe und die GDL angesichts des kommenden Tarifeinheitsgesetzes gar nicht anders könne, als für ihre Interessen zu kämpfen – so lange es eben noch gehe. Doch eine „Einheitsfront“ von Mitte-links bis rechts schimpfe und ereifere sich nur über die Lokführer-Gewerkschaft und erkläre den Streik zum Skandal. Die Mehrheit der Deutschen, mit ihrer Untertanen-Mentalität, mache auch noch munter mit. Ebenso die Sozialdemokraten und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Dabei stehe das Streikrecht auf dem Spiel, das uns alle angehe und daher auch unbedingt zu verteidigen sei.
Dem stimmt auch Roberto J. De Lapuente zu, der auf ad sinistram weitergehend feststellt, dass das Streikrecht der Gewerkschaften in einer Demokratie unantastbar sein müsse. Wer Gewerkschaften einschränke, der baue die demokratische Kultur ab. Das zeige auch die deutsche Vergangenheit. Sicherlich sei ein Streik lästig und ärgerlich, wie derzeit für die Bahnreisenden, doch manchmal – wenn etwa anderweitige Gespräche scheitern – gehe es eben nicht anders. Persönliche Abstriche und Einschränkungen müssten in solchen Fällen in Kauf genommen werden – Lapuente verzichtet auf „drei bis acht Küsse“ seiner Partnerin –; das sei allemal besser als leichtfertig der weiteren Einschränkung der Demokratie zuzustimmen.
Auch Roland Tichy bezeichnet das Streikrecht auf Tichys Einblick als ein Grundrecht. Dieses Recht dürfe aber nicht grenzenlos gelten. Eigentlich sollte es nur dazu genutzt werden, sich für angemessene Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Doch darum gehe es Weselsky gar nicht. Er missbrauche das Streikrecht für die machtpolitischen Zwecke seiner GDL, weswegen Tichy den momentanen Streik einfach nur „pervers“ findet. Es gelte nun, den machthungrigen Lokführer-Lobbyisten entschlossen entgegenzutreten.
Burkhard Müller-Ullrich weist auf Die Achse des Guten auf die „Zermürbungsopfer“ der scheinbar ewigen Wiederkehr des GDL-Streiks hin. Da seien die Verhandlungsführer im Tarifstreit, die immer wieder das gleiche Schauspiel aufführen müssten – ohne wirkliche Aussicht auf Erfolg. Oder die Journalisten, die die doch sattsam bekannten Argumente nun abermals runterleiern müssten. Und natürlich vor allem die Bahnkunden, die ihre Macht- und Bedeutungslosigkeit immer wieder demonstriert bekämen. Der Wiederholung durch GDL und Weselsky wohne ein Hauch von Terror inne und Müller-Ullrich fragt sich, wie es denn wohl bei der siebzigsten Wiederholung des Ganzen aussehen möge.
Fraglich ist, ob es so weit kommen wird. Wenn im Sommer das Tarifeinheitsgesetz beschlossen werden sollte, wäre der GDL – und einigen anderen kleineren Spartengewerkschaften – der Zahn gezogen. Die Frage ist, ob eine grundlegende Einschränkung des Streikrechts wirklich wünschenswert ist, selbst wenn man dem momentanen Arbeitsausstand skeptisch gegenüber steht.