Wer versagt in der Ukraine-Krise?
Die Aufmerksamkeit im Ukraine-Konflikt hat sich in den letzten Wochen und Monaten mehrmals verschoben: Vom Kiewer Maidan-Platz hin zur Krim-Halbinsel und nun zum Osten der Ukraine. Die Lage ist auch dort unübersichtlich. Es kommt zu Demonstrationen, Gebäudebesetzungen und Ausschreitungen separatistischer Gruppierungen, deren Ziele nicht immer klar zu identifizieren sind. Streben sie nach (mehr) Autonomie für die Ostukraine; nach einem Referendum, wie im Falle der Krim-Halbinsel; nach einem eigenen Staat oder nach einem Anschluss an Russland? Und welche Rolle spielt dabei Russland? Stachelt es die Separatisten an oder lenkt es diese ganz gezielt, um die Ostukraine in den (direkten) russischen Einflussbereich zu führen? Die ukrainische Übergangsregierung hat indes einen „Anti-Terror-Einsatz“ gegen die separatistischen Gruppierungen initiiert und greift dabei auch auf gewaltsame Mittel gegen diese zurück.
Wie sollen sich der Westen und insbesondere die Europäische Union dazu verhalten? Soll sie die ukrainische Übergangsregierung weiter unterstützen, auch wenn diese gewaltsam gegen die Separatisten in der Ostukraine vorgeht?
Stefan L. Eichner wirft auf der Seite Geolitico insbesondere der Europäischen Union ein massives Versagen in der Ukraine-Krise vor. Die EU habe sich in den Konflikt treiben lassen. Sie habe zu selten kritisch nachgehakt und die Anschuldigungen, dass Russland einseitig den Konflikt weiter schüre, einfach von den USA, der NATO und der ukrainischen Übergangsregierung übernommen. An einer wirklichen Aufklärung der Geschehnisse auf dem Kiewer Maidan-Platz sei sie zudem nicht wirklich interessiert. Obgleich die Ukraine nun in vielerlei Hinsicht vom Westen abhängig sei, habe es die EU nicht vermocht, auf eine friedliche Konfliktlösung hinzuwirken, die doch vor allem in ihrem eigenen Interesse sei. Es fehle der EU an einer wirksamen Krisenstrategie, was aber eigentlich insbesondere deswegen vonnöten sei, da nur die EU glaubhaft die Vermittlerrolle zwischen der Ukraine, Russland und den USA einnehmen könne.
Auch Eric Bonse sieht die Europäische Union auf der Seite Lost in EUrope als gnadenlos gescheitert an. Es werde deutlich, dass die EU im Ukraine-Konflikt nichts zu melden habe, ganz entgegen ihrer geläufigen Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung. Stattdessen seien es – mal wieder – die USA und Russland, die die politische Situation bestimmten und die EU so als einen reichlich bedeutunglosen weltpolitischen Nebendarsteller kenntlich machten.
Auf der Seite Spreepublik fragt Kristina Graf danach, warum bei der Beurteilung der Geschehnisse auf dem Kiewer Maidan-Platz und jetzt in der Ostukraine von Seiten der Europäer mit zweierlei Maß gemessen werde. Warum habe die EU die Maidan-Demonstranten gegen Viktor Janukowitsch unterstützt, gestehe nun aber den Demonstranten in der Ostukraine kein Referendum über deren eigene Zukunft zu? Insbesondere mit den allzu einseitig berichtenden Medien geht Graf in diesem Zusammenhang hart ins Gericht. Von unabhängiger oder sachlicher Berichterstattung könne nicht die Rede sein, vielmehr werde einseitig Putin und Russland zu Schuldigen erklärt. Dass man nur noch auf ganz wenige, sachlich berichtende Zeitungen zurückgreifen könne, findet Graf äußerst bedenklich.
Diese in letzter Zeit des Öfteren artikulierte Unzufriedenheit mit der Berichterstattung der deutschen Qualitätsmedien im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise, thematisiert auch ein Beitrag von Paul Schreyer auf der Seite Telepolis. Der Graben verlaufe im Zuge des Ukraine-Konflikts interessanterweise nicht zwischen verschiedenen Zeitungen, Zeitschriften oder Sendern, sondern vielmehr zwischen den Medien und ihren Lesern bzw. Zusehern und Zuhörern, die sich an der oftmals hintergründig artikulierten moralischen Überlegenheit des Westens und an den allzu klar formulierten Freund/Feind-Schemata störten.
Wer versagt im Ukraine-Konflikt? Tatsächlich die Europäische Union, die nun in Genf zumindest ein Abkommen mit der Ukraine, den USA und Russland zur Entwaffnung der ostukrainischen Separatisten vereinbaren konnte? Oder die deutschen Qualitätsmedien, die sich des zunehmenden Unmuts eines gewissen Teils ihrer Leserschaft zumindest bewusst geworden sind und sich infolgedessen selbst stärker in ihrer Rolle zu reflektieren beginnen? Die nächsten Tage und Woche werden zeigen, wie nachhaltig die nun eingeleiteten Entwicklungen tatsächlich sind.