Occupy China? Die pro-demokratischen Proteste in Hongkong

Die Bilder aus Hongkong kommen einem bekannt vor. Zu Zehntausenden gehen die Menschen auf die Straße, um für mehr Demokratie und Mitbestimmung zu demonstrieren. Die Pekinger Regierung reagiert äußerst nervös, Ordnungskräfte versuchten wiederholt die Demonstranten mit Tränengas und Schlagstöcken einzuschüchtern und auseinanderzutreiben. Ähnliches hatte man in der jüngeren Vergangenheit auch in Brasilien, der Türkei oder in den Ländern der sogenannten Arabellion zu sehen bekommen. Nun also China? Der Protest, der unter dem Slogan „Occupy Central“ firmiert – da zunächst das Finanz- und Geschäftszentrum Hongkongs, genannt „Central“, besetzt wurde – richtet sich gegen die Entscheidung der chinesischen Regierung, zu den ersten direkten Wahlen in Hongkong im Jahr 2017 keine frei nominierten Kandidaten zuzulassen. Die Demonstranten befürchten, dass ihnen dann ausschließlich Peking-treue Politiker zur Wahl vorgesetzt werden. Hongkong ist zwar als Sonderverwaltungsgebiet ein Teil der Volksrepublik China, verfügt aber als ehemalige britische Kronkolonie über relativ weitgehende Autonomierechte. Gemäß der Doktrin „Ein Land, zwei Systeme“ ist in Hongkong ein Maß an Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit erlaubt, das im restlichen China undenkbar ist. Noch – wie man dazusagen muss, denn diese Regelung soll nur bis zum Jahr 2047 gelten. Was danach kommt, ist ungewiss und viele in Hongkong befürchten, dass die jetzt geplante Wahlreform einen anti-demokratischen Dammbruch darstellen könnte.

Max Fisher zeichnet auf Vox nach, wie es zu der Eskalation in Hongkong kommen konnte. Wichtig sei es zu verstehen, dass die Bewohner Hongkongs angesichts der Frage, ob sie die Wahlreform annehmen sollen oder nicht, gespalten seien. Sowohl die Demonstrierenden als auch die Pekinger Regierung hätten versucht, diese Spaltung für sich zu nutzen. Protestmärsche seien in Hongkong eigentlich nichts Außergewöhnliches, so Fisher. Als jedoch „Occupy Central“ vergangenen Freitag eine pro-demokratische Demonstration zum Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China initiieren wollte, habe die Polizei – ob der gespannten Situation – ungewohnt hart reagiert. Der Einsatz von Gummigeschossen, Schlagstöcken und Tränengas habe viele Menschen entsetzt und dann auf die Straßen getrieben. Ob dies jedoch ausreiche, um einen nachhaltigen Meinungsumschwung in Hongkong in Gang zu bringen, das werde sich erst noch zeigen, so Fisher.

Joshua Keating schreibt auf dem Slate-Blog „The World“ über die paradoxe Doppelbewegung in Hongkong. Hongkong soll demokratischer und chinesischer werden. Für China stehe dabei viel auf dem Spiel, leide die Volksrepublik doch unter einem Imageproblem auf der Weltbühne. Bilder von gewaltsam niedergeschlagenen pro-demokratischen Protesten seien jedenfalls nicht vertrauensfördernd und widersprächen dem von China propagierten „friedlichen Aufstieg“ in der globalen Arena. Besonders beunruhigend sei für China dabei die Tatsache, dass das Gros der Demonstranten sehr jung ist. Wenn es Peking offensichtlich bisher noch nicht einmal vermocht habe, den jungen Hongkongern das chinesische Modell schmackhaft zu machen, wie solle man dies dann gegenüber der Welt bewerkstelligen?

Jessica Chen Weiss fragt auf Monkey Cage danach, welche Möglichkeiten der Westen denn habe, um auf die Entwicklungen in Hongkong zu reagieren. Die Pekinger Regierung verbitte sich jegliche Einmischung in innere Angelegenheiten. Der stellvertretende britische Premierminister Nick Clegg habe den pro-demokratischen Demonstrationen zwar seine Sympathien bekundet, ansonsten gebe man sich aber von westlicher Seite sehr zurückhaltend. Man wolle wohl vermeiden, so Weiss, dass Peking eine allzu offensive Unterstützung der Demokratiebefürworter durch den Westen dazu nutzen könnte, von einer westlichen Infiltrierung der Proteste zu sprechen und diese so zu delegitimieren.

Jonathan Mirsky ist sich auf dem New York Review of Books-Blog ziemlich sicher, dass es sich derzeit wohl niemand im Westen mit Peking verscherzen wolle. Dies lässt ihn einigermaßen fassungslos zurück, denn schon jetzt erinnere ihn vieles an die Geschehnisse auf dem Pekinger Tian’nanmen-Platz, wo 1989 die pro-demokratischen Proteste äußerst brutal niedergeschlagen wurden. Werden die Panzer, fragt Mirsky, wieder über die Demonstranten rollen, die doch höchstens mit Regenschirmen bewaffnet sind.

Die Regenschirme, die von den pro-demokratischen Demonstranten zunächst dazu benutzt wurden, um sich notdürftig gegen das Tränengas und die Wasserwerfer der Polizei zu schützen, wurden schnell zum Symbol der Proteste. Aufnahmen von Protestierenden, die aufgespannte bunte Schirme in die Luft halten, machten in den sozialen Netzwerken schnell die Runde. Häufig ist inzwischen der Begriff „Umbrella-Revolution“ – „Regenschirm-Revolution“ – im Zusammenhang mit den Hongkonger Protesten zu finden. Oiwan Lam legt auf Global Voices dar, warum die Protestbewegung den Begriff der „Revolution“ ablehnt und stattdessen lieber von einer „Bewegung“ sprechen will. Man habe keine Waffen, man sei friedlich, wenn auch bestimmt in der Sache und wolle doch vor allem Stabilität (und Kontinuität) für Hongkong.
Demokratische Teilhabe und Mitbestimmung werden in Hongkong eher verteidigt als das sie herbeigeführt werden sollen. Wenig wahrscheinlich erscheint es derzeit, dass der demokratische Funke von Hongkong auf China überspringen könnte. Die Demonstrierenden streben dies auch gar nicht an. Es geht um Hongkong, aber eben um Hongkong in China. Interessant wird zu beobachten sein, wie die Bilder aus Hongkong auf die anderen Chinesen wirken – wenn sie diese überhaupt zu Gesicht bekommen.