Ein griechisches Gespenst geht um in Europa – Nach dem Wahlsieg des Linksbündnisses SYRIZA
Nun ist es passiert. Erhebliche Bedenken wurden im Vorfeld angemeldet, für den Fall dass Alexis Tsipras und sein „Bündnis der radikalen Linken“ (SYRIZA) die griechischen Parlamentswahlen gewinnen sollten. Auch Warnungen und sogar Drohungen wurden ausgesprochen, Griechenland – von deutscher und auch anderer (Regierungs-) Seite – das Ausscheiden aus dem Euro bzw. der Euro-Zone nahegelegt, wenn es die von der europäischen Troika auferlegten Sparmaßnahmen aufkündigen sollte. Manch einer malte gar den Anfang vom Ende der Europäischen Union an die Wand, sollten die griechischen „Kommunisten“ das Ruder übernehmen. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – konnte SYRIZA die Wahlen deutlich für sich entscheiden. Das durch die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre schwer gebeutelte griechische Volk strafte die bis dato dominierenden Parteien – die liberal-konservative Nea Dimokratia und die sozialdemokratische PASOK – deutlich ab und gab derjenigen Partei eine Mehrheit, die sich entschieden gegen die strengen europäischen Sparauflagen stellte, die sich für einen Schuldenschnitt aussprach, die mehr Arbeitsplätze und Hilfe für die durch die Krise in Bedrängnis geratenen Menschen in Aussicht stellte.
Viele Hoffnungen aber auch Ängste knüpfen sich an den Wahlsieg Tsipras’, der nun überraschenderweise mit der rechtspopulistischen Partei der „Unabhängigen Griechen“ (ANEL) ein Regierungsbündnis eingegangen ist. Ist die Wahl Tsipras’ eine Hoffnung für Griechenland und Europa oder ein Menetekel?
Leo Brux stimmt der Wahlsieg SYRIZAs verhalten optimistisch. Er sieht darin eine Chance für Griechenland und Europa. Auf dem Migrationsblog schreibt Brux, dass nach all den Jahren der griechischen Misswirtschaft und Korruption endlich neue, unverbrauchte Kräfte an die Macht kämen, die mit den alten, eingefahrenen Wegen zu brechen bereit wären. Mit einem Schuldenschnitt peilten sie zudem einen gangbaren Ausweg aus der verhängnisvollen europäischen Schuldenfalle an. Griechenland bräuchte dafür die Unterstützung der Europäischen Union, doch Brux ist skeptisch, ob die neoliberalen Eliten da mitspielen. Lieber sähen wohl viele das Scheitern Tsipras’. Doch Brux warnt: Würden sich die abermals enttäuschten griechischen Wähler dann nicht vielleicht scharenweise den griechischen Faschisten der Goldenen Morgenröte zuwenden, weil sie keine andere Alternative mehr sähen?
Heiner Flassbeck ruft auf flassbeck-economics insbesondere die deutschen Politiker zur Mäßigung und Zurückhaltung im Umgang mit der neuen griechischen Regierung auf und fordert etwas gesunden Menschenverstand ein. Man dürfe von deutscher Seite jetzt nicht wie der Elefant im europäischen Porzellanladen agieren und die Griechen und andere Staaten Europas, die ebenfalls tief in die Wirtschaftskrise gerutscht sind, durch ein Pochen auf die vermeintliche – und viel beschworene – Alternativlosigkeit der Austeritätspolitik weiter gegen sich aufbringen, so wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dies jüngst getan habe. Die neue Regierung in Athen könne ja gar nicht anders, als dagegen anzulaufen, schließlich habe sie genau diese Politik in die „Große Depression“ gestürzt.
Stephan L. Eichner fragt auf Geolitico, ob von dem Erfolg Tsipras’, der ja unter anderem eine entschiedene Abwendung des Wahlvolks vom bisherigen griechischen Polit-Establishment darstellt, ein Signal für ein nachhaltig verändertes Gesicht Europas ausgehen könnte. Setzen sich auch in anderen Ländern solche gegen das Establishment gerichteten Parteien endgültig durch, etwa Podemos in Spanien, MoVimento 5 Stelle in Italien oder UKIP in Großbritannien? Tsipras – der nur zu gut wisse, dass er mit seinen Vorbehalten gegen die europäische (Spar-) Politik in Europa alles andere als alleine dastehe – könnte den Anfang gemacht haben – und damit den anderen Mut.
Auch Fritz Goergen fragt auf Tichys Einblick nach den Konsequenzen, die der Wahlerfolg Tsipras’ für Europa haben könnte. Entscheidend sei, wie man mit Tsipras’ Anliegen umgehe. Goergen befürchtet, ganz anders als etwa Flassbeck, dass man irgendwie schon auf ihn zugehen werde. Man werde (faule) Kompromisse eingehen und damit fatalerweise den linken und rechten Protestparteien in verschiedenen EU-Ländern, die gegen die EU polemisieren – Goergen nennt den französischen Front National, die italienische Lega Nord und die britische UKIP –, weiteren Auftrieb geben. Die Extremen und Radikalen in Europa würden durch Zugeständnisse an die griechische SYRIZA gestärkt und das könnte äußerst fatale Folgen haben. Noch sei es nicht zu spät, die Lunte des Euro-Pulverfasses noch nicht gezündet. Doch die meisten Politiker und Medien würden die Gefahr anscheinend nicht sehen wollen, so Goergen.
Die seltsame europäische Allianz von ganz links nach ganz rechts, die sich nun über Tsipras’ Wahlerfolg freut, erstaunt Michael Wohlgemuth auf dem Open Europe Berlin Blog bei all dem kaum. Die beiden Pole des politischen Spektrums kochen zwar ihr eigenes Süppchen, glauben aber alle von SYRIZAs Wahlerfolg profitieren zu können. Schon eher bemerkenswert sei es, dass da von einer politischen Kraft eine Erneuerung Europas erwartet würde, die die Stimmen einer rechts-nationalistischen Partei zum Regieren bräuchte.
Dass die linke SYRIZA ausgerechnet eine Koalition mit der rechtspopulistischen ANEL eingegangen ist, hat für viel Verwunderung, Spott und Häme gesorgt.
Gregor Kritidis und Patrick Schreiner, die den Wahlsieg Tsipras’ begrüßen, finden dies auf annotazioni.de zwar auch äußerst unerfreulich, halten die Entscheidung unter den gegebenen Umständen aber dennoch für das kleinste Übel. Die anderen Parteien seien als Koalitionspartner einfach nicht in Frage gekommen, wie sie im Durchgang durch das griechische Parteienspektrum feststellen. ANEL vertrete reaktionäre, rassistische und antisemitische Standpunkte, in der Zurückweisung der neoliberalen Austeritätspolitik gebe es aber entscheidende Schnittmengen. Auf dieser Gemeinsamkeit – der wohl einzigen – fuße die Koalition beider Parteien. Sie sei ein reines Zweckbündnis und als solches in Griechenland auch nichts Neues. Die Nea Dimokratia und die PASOK hätten in der Vergangenheit ebenfalls mit extremen rechten Parteien koaliert, ohne dass dies damals großen Widerspruch hervorgerufen hätte. SYRIZA jetzt so aufs Korn zu nehmen sei da mehr als scheinheilig und verkenne die Lage und jüngere politische Vergangenheit Griechenlands. Wichtig sei es nun, den dringend benötigten wirtschafts- und sozialpolitischen Neuanfang einzuleiten.
Während Bundeskanzlerin Angela Merkel Tsipras zu seinem Wahlsieg verhältnismäßig spät, recht knapp im Umfang und eher kühl im Ton, gratulierte, begrüßten sowohl Politiker der LINKEN als auch der AfD den politischen Umbruch in Griechenland mit geradezu euphorischen Wortmeldungen. Man darf gespannt sein, ob und wie SYRIZA seine Reformvorhaben umzusetzen vermag und auch, wer dann davon profitieren kann. Die Menschen in Griechenland selbst hätten Erfolge wohl am meisten nötig. Die ersten Schritte zur “nationalen Rettung” hat Tsipras nun prompt eingeleitet. Die Reaktionen – die zwischen Begeisterung und Empörung schwanken – trudeln nun ein.