Cannes 2015: „Mad Max“, „Son of Saul“ und „La tête haute“
In Cannes findet gerade das bedeutende Filmfestival statt. Die internationalen Stars der Filmbranche zeigen sich auf dem roten Teppich, glamouröse Partys werden gefeiert, Galas gegeben und ganz unterschiedliche Filme ringen um die begehrten Auszeichnungen.
Eröffnet wurden die Filmfestspiele von dem Film „La tête haute“ der Regisseurin Emmanuelle Bercot. Dass eine Regisseurin, also eine Frau, das Filmfestival eröffnen darf, ist bedeutsam. Denn gerade in „Cannes“ wird immer wieder der vermeintliche Sexismus der Branche zum Thema. Cutrin schreibt für filmosophie über den Film, der die Entwicklung eines sozial auffälligen Jungen zeigt, man könne klischeehaft einen weiblichen Blick attestieren – und das sei vielleicht sogar von den Festivalplanern gewollt. Vor allem sei es aber ein ausgewogener Blick auf die sogenannte „soziale Unterschicht“. Diese Ausgewogenheit, die eine Stärke des Films sei, wirft Cutrin dem Film zugleich vor, denn ein Film sei doch mehr als ein Diskussionsbeitrag zu einem – wenngleich wichtigen – Thema.
Matthias Greuling, der für den Blog FESTIVALIER! schreibt, hat bereits am zweiten Festivaltag den ersten Favoriten ausgemacht – „Son of Saul“, ein Film, der gerade nicht ausgewogen ist, sondern die permanente Brutalität in einem KZ zeigt. Der Film begleitet den KZ-Häftling Saul Ausländer bei seiner Arbeit in einem „Sonderkommando“, zu dem die ganzen Widerwärtigkeiten dessen gehören, was man in einem KZ „Alltag“ nennen könnte: Tore der Gaskammern schließen, später saubermachen etc. Der Regisseur László Nemes zeige in dem Film das „völlig Entmenschlichte“ und zwar nahezu schonungslos. Da die Kamera stets den Protagonisten scharf zeige, werde das eigentliche Grauen oftmals unscharf wiedergegeben, was die Phantasie des Zuschauers anrege. Auch MaryChloe meint, allein für die Kameraführung, die eine unvergleichlich klaustrophobische Stimmung erzeuge, hätte der Film die Goldene Palme verdient.
„Mad Max: Fury Road“ dagegen wurde außerhalb des Wettbewerbs gezeigt. Vor 35 Jahren lief der erste Teil von George Millers „Mad Max“-Reihe in den deutschen Kinos. Nun wurde der vierte Teil in Cannes vorgestellt, und wie vor 35 Jahren führte erneut George Miller die Regie. Rüdiger Suchsland hat diesen Film für den Blog Negativ ausführlich besprochen. Suchsland bemerkt, wie erstaunlich dieses Zukunftsszenario aus unserer heutigen Sicht wirkt, denn es wird eine Zukunft vorgestellt, die vollkommen analog ist. Es sind aufgemotzte Autos, Kriegsmaschinen und Waffen zu sehen, aber eben keine Welt des Internets und der Medien. Und daher rührt ein Teil der Faszination für diese mythische Welt, die auf den ersten Blick scheinbar nichts mit unserer modernen Welt zu tun hat. Der Film feiere insofern den Ausnahmezustand.
Die wahre Heldin des Films, so stellt Suchsland fest, sei die Figur Furiosa, gespielt von Charlize Theron, und nicht der namentliche Held Max, gespielt von Tom Hardy. Damit sei sogar im machohaften Blockbuster der Feminismus angekommen. Und daraus entwickelte sich prompt ein kleiner Skandal. Arne Hoffmann hat dies für die Freie Welt nachgezeichnet und wundert sich darüber, wie ein einzelner Autor, der zum Boykott des Films aufgerufen hatte, solch ein Medienecho auslösen konnte.
Auch auf dem Blog man-tau stößt das auf Verwunderung. Mad Max sei eine so tiefgründige feministische Kritik wie die Rambo-Filme tiefgründig über den Kommunismus räsonierten. Doch erstaunlich viele Medien – zum Beispiel CNN, Telegraph oder The Independent sind genannt – schickten sich an, den Film zu verteidigen, weil angeblich Männerrechtsgruppen wütend auf den Film seien. Hier werde eine Wut auf den Film herbeiphantasiert, um die vermeintlich feministische Botschaft ins rechte Licht zu rücken. Doch damit sei der Film völlig überfrachtet.
Erneut, wie zuletzt auch das Filmfest von Venedig, ist ein Filmfestival stark politisiert – so sehr, dass einem Film wie „Mad Max“ eine Botschaft untergeschoben wird. Joss Whedon, der Regisseur des Superhelden-Films „Avengers 2“, erklärte nach den heftigen Angriffen auf seine Person zuletzt, dass eine politische Stellungnahme den Künstler zerstöre. Er hatte sich zum Feminismus bekannt. Sein neuer Film jedoch wurde, wie Bettina Hammer auf telepolis schreibt, gerade von Feministinnen und Feministen attackiert. Zu wenig sei die weibliche Protagonistin entwickelt worden, so der Vorwurf dem Hammer widerspricht.
Eine Politisierung des Kinos hatten sich viele erhofft – ob diese Hoffnungen mit der Politisierung dieser Blockbuster erfüllt worden sind, ist zumindest fraglich.